Verbindung zur Literatur des Mittelalters und die Männlichkeitskonstruktionen um Heinrich II.
Nun kommt der 'literarische Heinrich' ins Spiel - in diesem Buch werden die wichtigsten Textquellen zum Leben und zur Kanonisation Heinrichs II. behandelt. Aus Ebernand von Erfurts Heinrich und Kunegunde werden wichtige Textausschnitte gezeigt, an denen interessante Aspekte zur Männnlichkeitskonstruktion Heinrichs und zur 'Verheiligung' des weltlichen Herrschers abgelesen werden können.
10. Die Pflugscharprobe - Aufdeckung defizitärer Männlichkeit
In der Legende fungiert die Ehe mit Kunigunde als Aktionsraum, in dem sich Heilige Männlichkeit ausbildet. Im leeren Raum des durch Gottesgnadentum erwählten Herrschers, dessen Männlichkeit sich nicht durch Agieren mit anderen Männern herstellt, kann sich Männlichkeit nur durch die Gegenüberstellung einer Frau, einer Herrscherin, herstellen: Sicher einer der Gründe, weswegen die Fürsten als Mahner zu Heirat und Ehe erschienen und Alleinherrschaft als seltsêne geschiht (V. 780) bezeichnen. Heilige Männlichkeit des weltlichen Herrschers bildet sich durch das weibliche Gegenüber, dessen konsentierendes "Ja" zu einem Eheleben in Keuschheit Heinrichs -möglicherweise defizitären- Männerkörper nicht 'infrage stellt'. Die Konstruktion der keuschen, mariengleichen Frau Kunigunde bietet so Deckung des defizitären Körpers und Bestätigung des willensstarken Herrschers. Dass die bereits erwähnte Heimlichkeitssphäre eine entscheidende Rolle spielt, soll in einem letzten Zitat deutlich werden: Kunigunde unterzieht sich der sogenannten 'Pflugscharprobe:
Der Legende nach schlich sich der Teufel des Öfteren in Gestalt eines jungen Mannes in Kunigundes Kemenate, so dass Hofstaat und Volk munkelten, sie betrüge Heinrich und lebe in Sünde. Um ihren Ruf zu bereinigen und zu beweisen, dass sie wie eh und je in Unschuld lebt, muss sie über zwölf glühende Pflugscharen gehen. Kunigunde übersteht die Probe unversehrt. Folgendes Zitat ist die Fürbitte Kunigundens vor der Probe an die Heilige Jungfrau Maria:
V 1548 – 1562 : Suoze trehtin guote / hilf mir hûte an diser frist / rehte als daz wâr ist, / mit dînen gnâden darzuo sich, / sô diser selbe Heinrich / nie ze wîbe mich gewan, / er noch nie kein ander man.' / er wolde zuo der selben stunt / ir verdrucket hân den munt, / daz siez verswigen hête. / daz bluot dô hine wête / von dem munde an ir gewant. / sêre rûwete in zehant, / daz ime die unzuht was gesehên, / er gie vil rûric von ir stên. |
„Heiliger, barmherziger Gott, hilf mir jetzt in dieser Stunde, die Wahrheit kundzutun, und mache in deiner Gnade deutlich, daß dieser Heinrich mich nie als Mann berührt hat ebensowenig wie irgend ein anderer.“ Der König preßte ihr sogleich den Mund zu, damit sie ihr eheliches Geheimnis nicht preisgäbe. Davon spritzte ihr das Blut auf ihr Gewand. Diese Unbeherrschtheit reute Heinrich sogleich, und er trat betrübt beiseite.“
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Ausführlicher noch in Der Heiligen Leben, wo es heißt: Dez schamet sich der kayser, daz sie fúr in auch rihtet, und gab ir ainen grozzen halz slag und slúg sie in den munt, daz sie plutet. Auf der oben gezeigten Abbildung zeugt nur noch das gegen die Wange gehaltene Taschentuch von Heinrichs Schlag.
In dem Moment, wo Kunigunde sich öffentlich zu ihrer Unschuld bekennt und gleichzeitig Heinrichs Keuschheit nennt, richtet sie über sich als keusche, unschuldige Braut, Heinrich dagegen wird öffentlich als defizitärer Mann gezeigt.Kunigundes Performanz keuscher Weiblichkeit kommt ihr zugute, Heinrichs Identität jedoch, die sich nach den zwei Performanzräumen Öffentlichkeit - Heimlichkeit richten muss, wird beschädigt. Dieses öffentliche Zeigen von sich in Gewalt ausdrückender Dominanz gegenüber Kunigunde, der Frau, stellt das durch die Aussage Kunigundes verletzte Männlichkeitsbild wieder her. Der blutige Schlag in Kunigundes Gesicht zeigt die Wut des Herrscher über die Aufdeckung des gemeinsamen Geheimnisses und über die öffentliche Demütigung des Bildes als Mann und Hegemon. Die Öffentlichkeit soll das Bild der Hegemonialen Männlichkeit behalten und sei es durch öffentlich gezeigte Gewalt gegen seine Frau. Laut Legende ein völlig konträres Bild zum 'privaten' Heinrich, der seine Frau liebevoll und zuvorkommend behandelt:
er hielt sie liep sô sîn lîp, ez endorfte nieman sîn wîp gehalden minniclîcher. |
Sie war ihm lieb wie sein Leben, und niemand hätte seine Gattin gütlicher behandeln können als er. |