Verbindung zur Literatur des Mittelalters und die Männlichkeitskonstruktionen um Heinrich II.

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Kurs: Rivalisierende Männlichkeiten
Buch: Verbindung zur Literatur des Mittelalters und die Männlichkeitskonstruktionen um Heinrich II.
Gedruckt von: Gast
Datum: Donnerstag, 21. November 2024, 21:28

Beschreibung

Nun kommt der 'literarische Heinrich' ins Spiel - in diesem Buch werden die wichtigsten Textquellen zum Leben und zur Kanonisation Heinrichs II. behandelt. Aus Ebernand von Erfurts Heinrich und Kunegunde werden wichtige Textausschnitte gezeigt, an denen interessante Aspekte zur Männnlichkeitskonstruktion Heinrichs und zur 'Verheiligung' des weltlichen Herrschers abgelesen werden können.

1. Die Konstruktion Heiliger Männlichkeit am Beispiel Heinrichs II. in der Literatur des Mittelalters

In diesem Kapitel soll nun gezeigt werden, wie im Falle Heinrichs II. in der mittelalterlichen Literatur ein Bild Heiliger Männlichkeit konstruiert wird. Anhand des Wissens vom historischen Herrscherpaar Heinrich und Kunigunde um das Jahr 1000, der Räderuhr aus dem 16. Jahrhundert und der mittelalterlichen Literatur um 1200, insbesondere der Verslegende Ebernands von Erfurt, kann aufgezeigt werden, wie Heiligkeit durch literarische Umschreibungen eines weltlichen Herrschers begründet und -gewissermaßen- beglaubigt wird. Interessant ist, dass die vor allem die 'realen' Defizite Heinrichs im Endeffekt als 'Bausteine' der Umdeutung zum Heiligen fungieren. Typologische Darstellungen in der Kunst beweisen, wie stark der Heiligenkult um Heinrich bis in die Renaissance und auch bis in die heutige Zeit wirkt.

Es werden kurz die wichtigsten Textquellen zur Kanonisation Heinrichs II. genannt, um dann innerhalb der Verslegende Heinrich und Kunegunde die literarische Konstruktion von Heiligkeit und Männlichkeit nachzuzeichnen.

2. Literarische Quellen zu Heinrich II.

„Es ist bekannt, daß um Kaiser Heinrich II. schon sehr frühzeitig sich die Chronisten hauptsächlich in zwei Momenten erklärend und auch, wenn man so sagen darf, aufklärend in ihren Aufzeichnungen auf den Leser zu wirken bemühten, nämlich: 1. im Hinblick auf seine Erkrankung und 2. in Rücksicht auf seine Ehe.“ (Schöppler, S. 200)


Noch zu Lebzeiten Heinrichs entstand die Chronik Thietmars von Merseburg sowie die Biographie Vita Heinrici II imperatoris von Adalbold.

Um 1145 schreibt ein unbekannter Verfasser die Vita Heinrici, eine hagiographische Beschreibung von Heinrichs Leben, die wohl der Einleitung und Begründung der Kanonisation Heinrichs diente. Bei Thietmar wird Heinrich noch einigermaßen nüchtern betrachtet, in der Vita Heinrici werden legendarische Motive verwendet, wo Heinrichs Leben keine Möglichkeiten der in der Vita ansonsten durchweg stattfindenden Glorifizierung bietet (s.a. Klauser, S. 73).

Im Additamentum Vitae Heinrici werden vor allem drei wichtige Motive weiter ausgebaut: Zum einen ein angebliches Keuschheitsgelübde Heinrichs, zum anderen eine breite Schilderung der Pflugscharprobe Kunigundes und schließlich eine wundersame Begründung der angeblichen 'Lendenlahmheit' des Kaisers.

Aus einem Zusammenschnitt dieser und anderer Quellen schuf Ebernand von Erfurt zwischen 1202 und 1240 die Verslegende Heinrich und Kunegunde in der Volkssprache.

Ein Teil der Legende findet sich auch in der Legenda Aurea Mitte des 13. Jahrhunderts. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts findet sich eine Prosaversion der Leben Heinrichs und Kunigundes im Sumerteil der heyligen leben.

Eine letzte wichtige Festschreibung fand die Heinrichs – und Kunigunden - Legende durch Nonnosus Stettfeld, einem Mönch des Klosters Michelsberg, der Dye legend und leben des heyligen sandt Keyser Heinrichs bis 1511 verfasste.

Nonnosus Stettfelder: Dye legend und leben des Heyligen sandt Keyser Heinrichs, 1511, S. 1.

 

3. Ebernand von Erfurt: Heinrich und Kunegunde (um 1220)

In Ebernands von Erfurt Verslegende Heinrich und Kunegunde, die um 1220 verfasst wurde, wird das Leben des Herrscherpaares nachgezeichnet und zu einem Heiligenleben stilisiert. Heinrich wird als tugendreicher, frommer und kluger Herrscher gezeichnet, der dem Reich nur Gutes bringt, seine Frau Kunigunde als ebenbürtige Gefährtin behandelt und nach vielen wundersamen Begegnungen mit dem Transzendenten noch im weltlichen Leben am Ende desselben schließlich heilig gesprochen wird. Die Krankheit Heinrichs wird als Gottesprüfung, seine Kinderlosigkeit als bewußte Entscheidung für Gott und für kiuscheit, welche sich in einer "Josefsehe" manifestiert, gedeutet.

Im Folgenden werden anhand verschiedener Textausschnitte einige 'Stationen' in der Legende skizziert, an denen sich die Männlichkeitskonstruktion als frommer weltlicher Machthaber und schließlich zum heiligen Herrscher deutlich zeigt.

Kaisergrab

 


Alle folgenden mhd. Zitate und nhd. Übersetzungen aus Heinrich und Kunegunde sind folgenden Textquellen entnommen:

Ebernand von Erfurt: Heinrich und Kunegunde. Hg. von Dr. Reinhold Bechstein. Quedlinburg und Leipzig: Basse 1860 (=Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 39).

Ebernand von Erfurt: Die Kaiserlegende von Heinrich und Kunigunde. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen von Manfred Lemmer. Aus dem Nachlass herausgegeben von Kurt Gärtner. Sandersdorf-Brehna: Renneritz 2012.

4. Hegemoniale Männlichkeit - Der gottesfürchtige Herrscher

"The manner in which duty and responsibility could influence and define gender was perhaps nowhere as central as in the role and image of the king. At this highest level of society, the expectations and imperatives to manliness, masculine prowess and bravery, patriarchal authority, sapiental wisdom and good governance all intersected." (Jacqueline Murray)1

 Im dritten Vers der Legende, der nach Prolog und 'Bitte um Fürbitte' des Dichters an das Heiligenpaar folgt, wird Heinrich mit der Zuschreibung vieler Tugenden und Attribute überhöht. Die Legende setzt sogleich bei der Krönung Heinrichs zum ostfränkischen Herrscher ein. Die Wahl Heinrichs als Nachfolger Ottos III. wird als reibungs- und konkurrenzlose Entscheidung unter göttlichem Beistand beschrieben - in Wahrheit 'übernimmt' Heinrich eigenmächtig Leiche und Reichsinsignien Ottos III. - und ein kohärentes Herrscherideal wird entworfen. Heinrich, edel, voller gotesvorht und wîsheit, dem Transzendenten zugewandt in seinem Dasein als Christ und gotes kneht:


 

V 165 – 176

sie taten wol, die diesen degen

an daz riche brahten;

vil wol sie dran gedahten;

er was dem riche edel gnuoc

von aller guoten siten gesuoc,

der heiligen wîsheit begin

vazzet er vaste in sinen sin:

diz ist der gotesvorhte tugent,

der phlag er ie von siner jugent,

darnach hat er sich wol gekart,

der schrift was er wol gelart,

an dem glouben was er gar reht,

ein kristen unde gotes kneht.

 

 


ff


 

 

 

 

„Die den Herzog Heinrich

zum König machten,

handelten sehr bedacht.

Sein edler Anstand war einem

Herrscher über das Reich angemessen,

und er war auch erfüllt

von der göttlichen Weisheit,

der Tugend der Gottesfrucht,

die ihm von Kind an eigen war.

Er kannte sich in der Hl Schrift aus

und war ein frommer Christ und Diener Gottes.“

 

 



 

Der König und spätere Kaiser Heinrich steht an der Spitze der Ordnung. In den Erwartungen an den Herrscher, in der Absegnung der Eigenschaften und Tugenden, die dem "Reich angemessen" sind, formuliert sich ein Männlichkeitsideal, welches der Herrscher verkörpert und welches an ihm abgelesen werden kann.


1 zitiert nach: Lewis, S. 158.

 

 

5. Die Mahnung der Fürsten - Ehe als binäre Geschlechtermatrix

Wann wird der Herrscher zum 'richtigen' Mann? Wenn er eine Frau hat?

In der Legende wird berichtet, dass der mit den besten Herrscherattributen ausgestattete König Heinrich, nachdem er bereits einige Wohltaten für sein Reich vollbracht hat, von seinen Fürsten angehalten wird, sich eine Frau zu suchen. Wird erst noch erzählt, dass die Fürsten vor allem im Sinne der Fortführung der Genealogie Heinrichs und der Weiterführung der Herrschaft durch die Nachkommenschaft desselben eine Frau an Heinrichs Seite verlangen, wird im nächsten Abschnitt der mittelalterlichen Legende von fürstlicher Seite mit dem Hinweis auf die soziale Norm  verwiesen: Ein allein regierender Herrscher sei nicht normal, daz enzême niht, es wêre ein seltêne geschiht, so etwas gehöre sich nicht, das Reich würde damit zerstört:

 

V 775 – 783 

den kunec sie sêre bâten, 

daz er im lieze râten. 

Sie sageten al gemeine, 

daz er daz rîche al eine hête,

daz enzême niht, 

ez wêre ein seltêne geschiht, 

sie hêten ez selden mêr gehôrt, 

daz rîche wurd darmite zerstôrt, 

er muostes alle unwillic haben.

 

„Sie baten den König inständig,

er möge sich von ihnen raten lassen.

Sie vertraten einhellig die Meinung,

es sei nicht recht,

daß er im Reich alleine entscheide.

Das sei doch eine merkwürdige Sache,

und so etwas hätten sie noch nie gehört.

Das Reich nähme auch Schaden davon.

Sie taten alle ihren Unwillen kund.“

Es wird gezeigt, dass er als Herrscher an der Spitze der herrschenden Norm steht und somit von seinen fürstlichen Beratern, den Mahnern der öffentlichen Ordnung, zur Erfüllung der für einen Herrscher gültigen Lebensform - der Ehe - angehalten wird. Das Herrscherdasein impliziert eine Herrscherin als Gegenüber, sowie die Zeugung von Nachkommenschaft als legitime Erben des Reiches.

 

6. Öffentlichkeit - Privatheit: das geheime Keuschheitsgelübde

Wie wird der Herrscher zum Heiligen? Erst einmal durch heimliche Keuschheitsgelübde.

Es wird eine Sphäre der Heimlichkeit aufgemacht: Auch wenn Heinrich den Fürsten äußerlich zustimmt ('er sprach'), tut er dies nur unter der - im nicht-öffentlichen Modus ('er dâhte') ausgesprochenen - Bedingung, seine kiuscheit niemals zu verlieren:

 

V 784 - 799

der kunic hâte schiere entsaben,

was sie die rede karten;

die sine in alle larten,

daz er hêre guote

entwiche sînem muote

und leiste der fursten bete:

ûf gotes trôst er ez tete.

Er dâhte: 'er sol mich wol bewarn,

daz ich mit kûscheit vollenvarn

hin biz an mîn ende.'

er sprach: 'ich wil wende

nâch ûwerm râte mînen muot,

ir hêren, swar ûch dunkel guot:

daz lâze ich uch wol schouwen.

nû kieset eine vrouwen,

in welchem lande ir wellet, [...]

 

„Worauf sie hinauswollten,

bemerkte Heinrich sehr bald,

daß er nämlich seine Absicht aufgäbe

und der Bitte der Fürsten entspräche.

Mit Gottes Hilfe tat er es denn auch.

Er dachte: „Möge er Sorge tragen,

daß ich bis an mein Lebensende meine Keuschheit bewahre.“

Zu den Fürsten aber sprach er:

„Ich will euerm Rat folgen und meine Absicht ändern.

Ihr Herren, ich gebe euch freie Hand,

schaut euch um nach welchem Land ihr wollt

und sucht mir eine Gemahlin[...]“

Heinrich wird so in dieser 'zweipoligen' Darstellung als verständiger, dem Volk, dem Gesetz und der allgemeinen, weltlichen Norm zugewandter Mann beschrieben. In seiner Funktion als Machthaber verkörpert er die herrschende gesellschaftliche Norm als übergeordnetes, durch Gottesgnade legitimiertes Ideal der Hegemonialen Männlichkeit.

Dieses Männlichkeit verkörpert der 'Legenden-Heinrich' in seiner Aufgabe als Herrscher über das römische Reich und somit auch über die - mithilfe klerikaler Diskurse der katholischen Kirche - normative Geschlechterdichotomie, welche Ehe und Heirat als wichtigste Institutionen und somit 'Performanzräume' benötigt. Diese Seite Heinrichs wird als die öffentliche, die sichtbare Performanz seiner hegemonialen Männlichkeit beschrieben.

Stünde der Herrscher als alleiniger Machthaber ohne eine Frau an seiner Seite an oberster Stelle des weltlichen Reiches, wäre nicht nur die Einteilung der gender in 'Mann' und 'Frau', welche sich in der Ehe vereinen, gefährdet, sondern auch die Männlichkeit Heinrichs.

Seine Identität als Herrscher konstituiert sich zu Beginn schlicht durch seine Wahl zum König, anschließend im Kampf gegen die Wenden zur Wiederherstellung der Ehre seines Reiches und in der Wiedererrichtung von Bistümern. Männlichkeit stellt sich in erster Linie jedoch durch die Gegenüberstellung und Abgrenzung von Weiblichkeit her, wofür – wie erwähnt – Ehe und Heirat die nötige Schablone stellen. Heinrich ergibt sich dem Wunsch der Fürsten. In Gedanken agiert er bei Ebernand jedoch bereits ganz dem Heiligen zugewandt - auch Kunigunde erweist sich glücklicherweise als keusche Braut -->

7. Zusammen keusch - Die "Josefsehe"

Heinrich stimmt also den Fürsten zu und überlässt ihnen die Aufgabe, eine gefällige und den Aufgaben als Kaiserin gewachsene Frau zu suchen. Sie finden sie in Kunigunde von Luxemburg, die als keusch, edel, gottesfürchtig, rein und von höchstem Adel beschrieben wird. Kunigunde wird in der Legende ebenso wie Heinrich als höchst heiratsunwillig beschrieben. Diese Unwilligkeit wird zurückgeführt auf die für die Identitätskonstruktion Heinrichs als auch Kunigundes höchst bedeutsam beschriebene Tugend der kiuscheit, der Keuschheit aus Hingabe an den Schöpfer.

 

V 925 – 930

sus was die wâre minne

in ir beider sinne;

die was solch meisterinne,

dô sie begunde brinne,

sint woldens niht beginne

der vleischlîchen minne.

"So war die wahre Liebe in ihnen beiden,

beherrschte sie und brannte so in ihnen,

daß sie sich fleischlicher Liebe enthielten."

 

 

 

V 942 – 956

'vrouwe mine,

ein dinc wil ich geloben dir,

gelobe ouch du daz selbe mir,

daz wir kuschliche leben

und uns gote alhier begeben;

ich wil dich halden immermer

als eine keiserinne her,

des wil ich letzen dich fur war

gewaldes niht als umbe ein har:

des suln wir unvermeldet sin.'

des lobete got die kunigin

mit luterlichem muote,

daz er siner huote

sie also vollicliche hielt

unt doch grozer herschaft wielt

 

 

„Herrin, laß uns eines gegenseitig geloben,

daß wir nämlich ein keusches Leben führen

und uns ganz Gott hingeben wollen.

Ich werde dich stets als die erhabene Kaiserin ansehen

und rücke davon nicht um ein Haar ab.

Diese Abmachung soll unter uns bleiben.

Die Königin dankte Gott aufrichtigen Herzens dafür,

daß er sie so väterlich behandelte

und daß sie dabei der Herrschaft nicht verlustig ging."


Die Kinderlosigkeit des Paares beruht somit in der Legende auf dem Akt des beiderseitig beglaubigten Keuschheitsgelübdes. Die Ehe als solche bleibt gewissermaßen unvollendet, weil Heinrich und Kunigunde sich nicht vereinigen. Die körperliche Vereinigung der Geschlechter findet nicht statt. Das beiderseitige, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegebene Gelöbnis, stets unter der Prämisse der gottesvorht ihre kiuscheit zu bewahren, zeigt Heinrich und Kunigunde als tugendhaftes und keusches Ehepaar. Es herrscht die wâre minne statt der vleischlîchen minne. Durch die Legende Ebernands wird somit ein plausibler Grund für ausgebliebene Nachkommen und somit Erben geliefert und Heinrichs Heiligkeit wird durch die Tugend der kiuscheit eine wichtige Basis gegeben.

 

Indem Heinrich sich gegen das bei Moses postulierte duo in carne una wendet, um sich ganz Gott zu widmen, wird Heinrich als Mann gezeichnet, der von Geist, Wille und Frömmigkeit geleitet ist und sich in seiner Nichtausübung des heiligen Sakraments der Ehe sofort als Mann auszeichnet, der schon über das Fleischliche, über den vergänglichen Körper hinaus handelt und die einzigartige Verbindung zu Gott sucht. So wird vom Dichter, der beide Seiten Heinrichs in der Legende 'zusammenhält', beschrieben, wie sich noch während dem Akt der Zustimmung zum fürstlichen Anliegen die zweite, den Augen der Öffentlichkeit verborgene und nur im Privaten stattfindende Männlichkeitskonstruktion als keuscher, ganz Gott ergebener Herrscher, vollzieht, welche die spätere Heiligkeit prophylaktisch legitimiert. Öffentlich wird die Zustimmung und Identifikation mit der Ehe und somit der Vereinigung der beiden gender 'Mann' und 'Frau' innerhalb dieser Institution gegeben, im Privaten findet zeitgleich die Ablösung vom vergänglichen Körper statt.

 

8. Kunigunde und Heinrich als Stifter

H&K

Mann rechts, Frau links, Dom in der Mitte: Mutter - Vater - Kind Dom?

Die Frömmigkeit des Paares zeigt sich der Öffentlichkeit vor allem in seiner regen Stiftungstätigkeit und in der Bestimmung Christi 'als Erben', dem durch den Bau des Bamberger Domes gehuldigt wird.

In der bildenden Kunst ist der Typus des 'Stifterpaares' daher einer der geläufigsten. Kunigunde trägt nicht etwa einen Nachkommen, sie trägt mit am Dom, Heinrich wird nicht auf dem Thron, sondern als Domträger, als Ergebener der Kirche präsentiert. Diese sich in der Kunst ausdrückende Sichtweise des Ehepaares ist vor allem in Bezug auf Kunigunde spannend.

Auch wenn es hier vorrangig um Heinrich gehen soll, wird dessen Männlichkeitskonstruktion zu weiten Teilen auch durch die veränderte Rolle der Ehefrau bestimmt: Sie erfüllt nicht ihre eigentliche Funktion als Mutter, welche die Nachkommenschaft als Erben des Reiches gewährleistet. Unfruchtbarkeit der Frau war im Mittelalter Grund genug, die Ehe aufzulösen.

Weil die Ehe trotz Kinderlosigkeit weitergeführt wurde, ist es plausibel, den - abseits aller Heiligsprechung verorteten - Grund bei Heinrich zu suchen. Die Frau wird somit zur 'Komplizin' im Keuschheitsbund. Kunigunde rückt auf eine Ebene mit Heinrich - Die Ehe wird zur "Josefsehe", Christus wird zum Erben des Heiligen Römischen Reiches - symbolisiert im Bamberger Dom, gemeinsam getragen von Heinrich und Kunigunde.

 

 

 

 

 

 

 

 

9. Krankheit als Gottesprüfung

Die Zeichnung Heinrichs als Herrscher, der schon zu Lebzeiten ganz auf Geistlichkeit ausgerichtet ist und sich dem vergänglichen Körper entzieht, verdeckt die 'Mängel' des eigentlichen 'hegemonialen' Herrscherkörpers: Krankheit und - wie im vorherigen Kapitel besprochen - Kinderlosigkeit. Auf dieser Seite ist von Heinrichs defizitärer Männlichkeit in Form einer rätselhaften Krankheit zu lesen.


Der kranke Leib

Heinrich litt zeitlebens an einer die Organe betreffenden Krankheit. Über die Frage, welche Organe genau betroffen waren, rätselten und rätseln Chronisten, Geschichtsschreiber und Mediziner damals und heute. Thietmar von Merseburg spricht in seiner Chronik von Kaiser Heinrichs angeborener Krankheit. Bei ihm und anderen Chronisten wird teils von einer Kolik, teils von Lahmheit, teils gar von Epilepsie gesprochen.

In der Legende wird die Krankheit in den Kapiteln XXIV. und XXV. aufgegriffen und als Steinleiden charakterisiert:

V 1671 – 1675

Da bestuont in ouch michel nôt,

er wart siech wan an den tôt,

der edele hêre reine:

ez kam im von dem steine,

der was im dô gewahsen grôz.

„Aber Heinrich geriet auch in große Bedrängnis,

denn der edle Herrscher wurde todkrank.

Das kam von einem großen Blasenstein in seinem Leibe.“

Es fällt – vor allem in der ursprünglichen mhd. Version – auf, dass der Stein als eigenmächtiges Gebilde den Körper zu 'überwuchern' scheint und den edelen hêren bedrängt. Nicht Heinrich ist krank, sondern die Krankheit bemächtigt sich seiner. Ein Grund für diesen den Herrscherkörper bedrängenden, tödlichen steine wird gegen Ende des Kapitels geliefert: Gott prüft die, die ihn lieben.

V 1685 – 1687

wand alle, die got liep hân

wil er mit sûche versuochen sân.

wie wîslîch daz er dâhte!

„Denn alle, die Gott lieben,

werden von ihm auf die Probe gestellt.

Wie klug, daß Heinrich auch so dachte!“

Heinrich ersucht im Kloster Cassino Hilfe durch Fürbitten des Hl. Benedikts und der Hl. Scholastika. Nach einem ermüdenden Weg zurück, legt er sich in sein Bett und schläft. Es erfolgt die göttliche Heilung und somit literarische Heiligsprechung des Herrscherkörpers von Heinrich:

 

Die wunderbare Heilung des Kaisers von einem Steinleiden durch den hl. Benedikt soll im Traum geschehen sein, der Leibarzt des Kaisers ist, völlig übermüdet, eingeschlafen.

V 1737-1745

dô der hêre lac alsus,

sanctus Benedictus

erschein im in dem slâfen.

er truoc ein kleinez wâfen,

gefuoge unde harte scharf gestalt,

als der man bedarf

ze snîden die siechen mite

nâch guoter arzâte site,

die den stein buozen.

Der heilige Benedikt entfernt den Stein und legt ihn Heinrich in die Hand, wo ihn dieser am Morgen nach dem Aufwachen findet. Mit großer Freude lässt Heinrich alle weltlichen und geistlichen Fürsten herbeirufen und zeigt er Stein als auch Narbe als Beleg der wundersamen Heilung durch die Gnade Gottes. Heinrich dankt dem Hl. Benedikt, indem er das Kloster Cassino mit Gütern und Ländereien beschenkt.

Kunigunde wird in diesen die Krankheit thematisierenden Kapiteln nicht erwähnt: Der kranke Heinrich muss alleine pilgern und beten, bis er schließlich geheilt wird.

10. Die Pflugscharprobe - Aufdeckung defizitärer Männlichkeit

In der Legende fungiert die Ehe mit Kunigunde als Aktionsraum, in dem sich Heilige Männlichkeit ausbildet. Im leeren Raum des durch Gottesgnadentum erwählten Herrschers, dessen Männlichkeit sich nicht durch Agieren mit anderen Männern herstellt, kann sich Männlichkeit nur durch die Gegenüberstellung einer Frau, einer Herrscherin, herstellen: Sicher einer der Gründe, weswegen die Fürsten als Mahner zu Heirat und Ehe erschienen und Alleinherrschaft als seltsêne geschiht (V. 780) bezeichnen. Heilige Männlichkeit des weltlichen Herrschers bildet sich durch das weibliche Gegenüber, dessen konsentierendes "Ja" zu einem Eheleben in Keuschheit Heinrichs -möglicherweise defizitären- Männerkörper nicht 'infrage stellt'. Die Konstruktion der keuschen, mariengleichen Frau Kunigunde bietet so Deckung des defizitären Körpers und Bestätigung des willensstarken Herrschers. Dass die bereits erwähnte Heimlichkeitssphäre eine entscheidende Rolle spielt, soll in einem letzten Zitat deutlich werden: Kunigunde unterzieht sich der sogenannten 'Pflugscharprobe:

 

Der Legende nach schlich sich der Teufel des Öfteren in Gestalt eines jungen Mannes in Kunigundes Kemenate, so dass Hofstaat und Volk munkelten, sie betrüge Heinrich und lebe in Sünde. Um ihren Ruf zu bereinigen und zu beweisen, dass sie wie eh und je in Unschuld lebt, muss sie über zwölf glühende Pflugscharen gehen. Kunigunde übersteht die Probe unversehrt. Folgendes Zitat ist die Fürbitte Kunigundens vor der Probe an die Heilige Jungfrau Maria:

 

V 1548 – 1562 :
Suoze trehtin guote /
hilf mir hûte an diser frist /
rehte als daz wâr ist, /
mit dînen gnâden darzuo sich, /
sô diser selbe Heinrich /
nie ze wîbe mich gewan, /
er noch nie kein ander man.' /
er wolde zuo der selben stunt /
ir verdrucket hân den munt, /
daz siez verswigen hête. /
daz bluot dô hine wête /
von dem munde an ir gewant. /
sêre rûwete in zehant, /
daz ime die unzuht was gesehên, /
er gie vil rûric von ir stên.

Heiliger, barmherziger Gott,

hilf mir jetzt in dieser Stunde,

die Wahrheit kundzutun,

und mache in deiner Gnade deutlich,

daß dieser Heinrich mich nie als Mann berührt hat

ebensowenig wie irgend ein anderer.“

Der König preßte ihr sogleich den Mund zu,

damit sie ihr eheliches Geheimnis nicht preisgäbe.

Davon spritzte ihr das Blut auf ihr Gewand.

Diese Unbeherrschtheit reute Heinrich sogleich,

und er trat betrübt beiseite.“

 

Ausführlicher noch in Der Heiligen Leben, wo es heißt: Dez schamet sich der kayser, daz sie fúr in auch rihtet, und gab ir ainen grozzen halz slag und slúg sie in den munt, daz sie plutet. Auf der oben gezeigten Abbildung zeugt nur noch das gegen die Wange gehaltene Taschentuch von Heinrichs Schlag.


In dem Moment, wo Kunigunde sich öffentlich zu ihrer Unschuld bekennt und gleichzeitig Heinrichs Keuschheit nennt, richtet sie über sich als keusche, unschuldige Braut, Heinrich dagegen wird öffentlich als defizitärer Mann gezeigt.Kunigundes Performanz keuscher Weiblichkeit kommt ihr zugute, Heinrichs Identität jedoch, die sich nach den zwei Performanzräumen Öffentlichkeit - Heimlichkeit richten muss, wird beschädigt. Dieses öffentliche Zeigen von sich in Gewalt ausdrückender Dominanz gegenüber Kunigunde, der Frau, stellt das durch die Aussage Kunigundes verletzte Männlichkeitsbild wieder her. Der blutige Schlag in Kunigundes Gesicht zeigt die Wut des Herrscher über die Aufdeckung des gemeinsamen Geheimnisses und über die öffentliche Demütigung des Bildes als Mann und Hegemon. Die Öffentlichkeit soll das Bild der Hegemonialen Männlichkeit behalten und sei es durch öffentlich gezeigte Gewalt gegen seine Frau. Laut Legende ein völlig konträres Bild zum 'privaten' Heinrich, der seine Frau liebevoll und zuvorkommend behandelt:


V 1173-1175

er hielt sie liep sô sîn lîp,

ez endorfte nieman sîn wîp

gehalden minniclîcher.

 

Sie war ihm lieb wie sein Leben,

und niemand hätte seine Gattin

gütlicher behandeln können als er.


 

 

11. Hegemoniale - Defizitäre - Heilige Männlichkeit

Krankheit, Kinderlosigkeit und Keuschheit sind im ganzen Diskurs um Heinrich stark miteinander verknüpft: Einerseits wird die Krankheit teilweise als Grund für die Kinderlosigkeit gedeutet und als 'Lendenlahmheit' ausgelegt oder die Operation an den Blasensteinen wird als Grund für eine Verletzung der inneren Organe und somit für die Kinderlosigkeit des Paares genannt. Beides sind Beeinträchtigungen hegemonialer Männlichkeit. Dieser Diskurs findet sich jedoch eher im Volksmund. In der literarischen Auslegung des Heiligenlebens ist - wie erwähnt - die kiuscheit bewusste Entscheidung gegen ehelichen Beischlaf und somit gegen die vom Volk und von den Fürsten erhoffte Zeugung von Nachkommenschaft. Das Männlichkeitsbild von Heinrich bleibt so kohärent: Bei entscheidenden, einen weltlichen Herrscher als defizitären Herrscher auszeichnenden Mängeln wie Kinderlosigkeit und Krankheit wird in der Legende umgedeutet in Willensakt und Gottesprüfung. Der leere Raum zwischen der Männlichkeit des weltlichen Hegemonen und der Heiligen Männlichkeit wird so durch die Umdeutung dieser Defizite in edle Gottestreue und göttlich-prüfende Zuwendung plausibel ausgefüllt. Gründe für die Kanonisation werden geliefert und Zweifel an der kohärenten herrschaftlichen Männlichkeit werden zeitgleich ausgeräumt. Zweifel und Ungläubigkeit am 'frommen Heinrich' werden durch die Sphäre der Heimlichkeit ausgeschaltet: Woher soll das Volk denn wissen, was Heinrich im Stillen beschlossen hat?

 

Noch einmal zur Räderuhr zurück: Nach all den Textbezügen sieht man: Immer noch Mann und Frau, immer noch Heinrich und Kunigunde.

Doch viele Details sind nun vielleicht anders interpretierbar: Drückt sich in dem dicken Bauch Kunigundes vielleicht der Wunsch des Volkes nach einer 'Maria' aus, nach einer jungfräulich Gebärenden?

Nach Nachfolgern von Heinrich und Kunigunde?

Ist Kunigundes rosiges, jugendliches Gesicht im Gegensatz zum alten, ernsten und 'väterlichen' Antlitz Heinrichs als künstlerische Interpretation der Josefsehe zu verstehen? In der christlichen Ikonographie werden Maria und Josef häufig nach diesem Schema abgebildet.

Keine der Fragen ist eindeutig zu beantworten, sicher ist jedoch, dass Heinrich II. von literarischen und künstlerischen Erzeugnissen, Legenden, Erzählungen und Geschichten unheimlich stark überlagert ist. Daraus kristallisiert sich so weniger ein Bild des echten Heinrich als ein Bild eines - guten oder bösen, hegemonialen oder defizitären - Herrschers. Männlichkeitsvorstellungen und historische Geschlechterschablonen können so an der Konstruktion eines Heiligen Herrschers abgelesen werden.

12. Heinrichs Kinderlosigkeit im medizinhistorischen Diskurs

Ausblick: Heinrich im 'modernen' medizinhistorischen Diskurs

In einem medizinhistorischen Artikel aus dem Jahre 1965, „Die Krankheiten Kaisers Heinrich II. und seine „Josephsehe““  wird unter Berücksichtigung der Chroniken, der Legende und vieler vorheriger Intepretationen des Leidens von Heinrich geschlossen, dass ein Leiden an Blasensteinen am wahrscheinlichsten ist. Jedoch wird anschließend ein Steinrelief aus der Johanniskirche zu Passau analysiert: Auf diesem Relief ist Kaiser Heinrich abgebildet, der leidend im Bett liegt. Flankiert ist er von zwei Personen, zu seiner linken ein melancholischer, passiver Arzt, zu seiner rechten ein Mönch mit Messer, der augenscheinlich aus Heinrichs Leib einen großen Stein herausgeschnitten hat.

Ausgehend vom steten Diskurs über die Gründe der Kinderlosigkeit der Ehe von Heinrich und Kunigunde, in dem immer wieder die mögliche Impotenz Heinrichs verhandelt wurde, interpretiert der Autor nun so, dass auf dem Bild die Kastration Heinrichs gezeigt würde.

Damit wäre eine Kastration des Kaisers dargestellt, dessen Impotentio coeundi geklärt.“

Diese Interpretation des Steinleides zeigt, wie sehr Krankheit und Kinderlosigkeit im Diskurs um Heinrich II. als ein zusammenhängendes Thema behandelt werden – beides Makel, welche die Einheit des hegemonialen Männlichkeitsideals im Körper des Herrschers durch die Destruktion und Infragestellung desselben gefährden. Noch 1965 interessiert an Heinrich II. weniger die reale Historie als der Diskurs über den Grund seiner Kinderlosigkeit. Auch dieser 'moderne' Aufsatz behandelt die Kinderlosigkeit unter der - so von Ebernand postulierten - großen Gottesfurcht Heinrichs:

Bei der großen Frömmigkeit Heinrichs II. wäre, analog anderer Vorbilder, diese Annahme auch nicht völlig absurd.“

 

Literatur

Bennewitz, Ingrid: Zur Konstruktion von Körper und Geschlecht in der Literatur des Mittelalters. In: Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Laqueur. Hg. von Ingrid Bennewitz und Ingrid Kasten. Münster: LIT 2002 (= Bamberger Studien zum Mittelalter 1), S. 1-9.

Cullum, Patricia H.: Introduction: Holiness and Masulinity in Medieval Europe. In: Cullum, Patricia H. / Lewis, Katherine J.(Hg.): Holiness and Masculinity in the Middle Ages. Cardiff: University of Wales 2004 (= Religion & Culture in the Middle Ages), S. 1-7.

Dinges, Martin: „Hegemoniale Männlichkeiten“ - Ein Konzept auf dem Prüfstand. In: Dinges, Martin (Hg.): Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt/New York: Campus 2005 (= „Geschichte und Geschlechter“ 49), S. 7-33.

Klauser, Renate: Der Heinrichs- und Kunigundenkult im mittelalterlichen Bistum Bamberg. Bamberg: St. Otto-Verlag 1957 (= Festgabe aus Anlaß des Jubiläums „950 Jahre Bistum Bamberg 1007-1957).

Klinger, Judith: Gender-Theorien, Ältere Deutsche Literatur. In: Benthien, Claudia / Velten, Hans Rudolf (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2002, S. 267-297.

Lewis, Katherine J.: Edmund of East Anglia, Henry VI and Ideals of Kingly Masculinity. In: Cullum, Patricia H. / Lewis, Katherine J.(Hg.): Holiness and Masculinity in the Middle Ages. Cardiff: University of Wales 2004 (= Religion & Culture in the Middle Ages), S. 158–173.

Müller, Heinrich: Das heilige Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde. In seinem tugendreichen und verdienstvollen Leben quellenmäsig dargestellt. 2. Auflage. Steyl: Missionsdruckerei 1904.

Pamme-Vogelsang, Gudrun: Die Ehen mittelalterlicher Herrscher im Bild. Untersuchungen zu zeitgenössischen Herrscherpaardarstellungen des 9. und 12. Jahrhunderts. München: Fink 1998 (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 20).

Schöppler, Hermann: Die Krankheiten Kaisers Heinrich II. und seine „Josefsehe“. In: Archiv für Geschichte der Medizin 11 (1965), S. 200-205.

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