Verbindung zur Literatur des Mittelalters und die Männlichkeitskonstruktionen um Heinrich II.
Nun kommt der 'literarische Heinrich' ins Spiel - in diesem Buch werden die wichtigsten Textquellen zum Leben und zur Kanonisation Heinrichs II. behandelt. Aus Ebernand von Erfurts Heinrich und Kunegunde werden wichtige Textausschnitte gezeigt, an denen interessante Aspekte zur Männnlichkeitskonstruktion Heinrichs und zur 'Verheiligung' des weltlichen Herrschers abgelesen werden können.
12. Heinrichs Kinderlosigkeit im medizinhistorischen Diskurs
Ausblick: Heinrich im 'modernen' medizinhistorischen Diskurs
In einem medizinhistorischen Artikel aus dem Jahre 1965, „Die Krankheiten Kaisers Heinrich II. und seine „Josephsehe““ wird unter Berücksichtigung der Chroniken, der Legende und vieler vorheriger Intepretationen des Leidens von Heinrich geschlossen, dass ein Leiden an Blasensteinen am wahrscheinlichsten ist. Jedoch wird anschließend ein Steinrelief aus der Johanniskirche zu Passau analysiert: Auf diesem Relief ist Kaiser Heinrich abgebildet, der leidend im Bett liegt. Flankiert ist er von zwei Personen, zu seiner linken ein melancholischer, passiver Arzt, zu seiner rechten ein Mönch mit Messer, der augenscheinlich aus Heinrichs Leib einen großen Stein herausgeschnitten hat.
Ausgehend vom steten Diskurs über die Gründe der Kinderlosigkeit der Ehe von Heinrich und Kunigunde, in dem immer wieder die mögliche Impotenz Heinrichs verhandelt wurde, interpretiert der Autor nun so, dass auf dem Bild die Kastration Heinrichs gezeigt würde.
„Damit wäre eine Kastration des Kaisers dargestellt, dessen Impotentio coeundi geklärt.“
Diese Interpretation des Steinleides zeigt, wie sehr Krankheit und Kinderlosigkeit im Diskurs um Heinrich II. als ein zusammenhängendes Thema behandelt werden – beides Makel, welche die Einheit des hegemonialen Männlichkeitsideals im Körper des Herrschers durch die Destruktion und Infragestellung desselben gefährden. Noch 1965 interessiert an Heinrich II. weniger die reale Historie als der Diskurs über den Grund seiner Kinderlosigkeit. Auch dieser 'moderne' Aufsatz behandelt die Kinderlosigkeit unter der - so von Ebernand postulierten - großen Gottesfurcht Heinrichs:
„Bei der großen Frömmigkeit Heinrichs II. wäre, analog anderer Vorbilder, diese Annahme auch nicht völlig absurd.“
Literatur
Bennewitz, Ingrid: Zur Konstruktion von Körper und Geschlecht in der Literatur des Mittelalters. In: Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Laqueur. Hg. von Ingrid Bennewitz und Ingrid Kasten. Münster: LIT 2002 (= Bamberger Studien zum Mittelalter 1), S. 1-9.
Cullum, Patricia H.: Introduction: Holiness and Masulinity in Medieval Europe. In: Cullum, Patricia H. / Lewis, Katherine J.(Hg.): Holiness and Masculinity in the Middle Ages. Cardiff: University of Wales 2004 (= Religion & Culture in the Middle Ages), S. 1-7.
Dinges, Martin: „Hegemoniale Männlichkeiten“ - Ein Konzept auf dem Prüfstand. In: Dinges, Martin (Hg.): Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt/New York: Campus 2005 (= „Geschichte und Geschlechter“ 49), S. 7-33.
Klauser, Renate: Der Heinrichs- und Kunigundenkult im mittelalterlichen Bistum Bamberg. Bamberg: St. Otto-Verlag 1957 (= Festgabe aus Anlaß des Jubiläums „950 Jahre Bistum Bamberg 1007-1957).
Klinger, Judith: Gender-Theorien, Ältere Deutsche Literatur. In: Benthien, Claudia / Velten, Hans Rudolf (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2002, S. 267-297.
Lewis, Katherine J.: Edmund of East Anglia, Henry VI and Ideals of Kingly Masculinity. In: Cullum, Patricia H. / Lewis, Katherine J.(Hg.): Holiness and Masculinity in the Middle Ages. Cardiff: University of Wales 2004 (= Religion & Culture in the Middle Ages), S. 158–173.
Müller, Heinrich: Das heilige Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde. In seinem tugendreichen und verdienstvollen Leben quellenmäsig dargestellt. 2. Auflage. Steyl: Missionsdruckerei 1904.
Pamme-Vogelsang, Gudrun: Die Ehen mittelalterlicher Herrscher im Bild. Untersuchungen zu zeitgenössischen Herrscherpaardarstellungen des 9. und 12. Jahrhunderts. München: Fink 1998 (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 20).
Schöppler, Hermann: Die Krankheiten Kaisers Heinrich II. und seine „Josefsehe“. In: Archiv für Geschichte der Medizin 11 (1965), S. 200-205.
Weber, Ines: Die Bibel als Norm! Eheschließung und Geschlechterverhältnis im frühen Mittelalter zwischen biblischer Tradition und weltlichem Recht. In: Fischer, Irmtraud / Heil, Christoph(Hg.): Geschlechterverhältnisse und Macht. Lebensformen in der Zeit des frühen Christentums. Münster: LIT 2010, S. 257-304.