Verbindung zur Literatur des Mittelalters und die Männlichkeitskonstruktionen um Heinrich II.
Nun kommt der 'literarische Heinrich' ins Spiel - in diesem Buch werden die wichtigsten Textquellen zum Leben und zur Kanonisation Heinrichs II. behandelt. Aus Ebernand von Erfurts Heinrich und Kunegunde werden wichtige Textausschnitte gezeigt, an denen interessante Aspekte zur Männnlichkeitskonstruktion Heinrichs und zur 'Verheiligung' des weltlichen Herrschers abgelesen werden können.
7. Zusammen keusch - Die "Josefsehe"
Heinrich stimmt also den Fürsten zu und überlässt ihnen die Aufgabe, eine gefällige und den Aufgaben als Kaiserin gewachsene Frau zu suchen. Sie finden sie in Kunigunde von Luxemburg, die als keusch, edel, gottesfürchtig, rein und von höchstem Adel beschrieben wird. Kunigunde wird in der Legende ebenso wie Heinrich als höchst heiratsunwillig beschrieben. Diese Unwilligkeit wird zurückgeführt auf die für die Identitätskonstruktion Heinrichs als auch Kunigundes höchst bedeutsam beschriebene Tugend der kiuscheit, der Keuschheit aus Hingabe an den Schöpfer.
V 925 – 930 sus was die wâre minne in ir beider sinne; die was solch meisterinne, dô sie begunde brinne, sint woldens niht beginne der vleischlîchen minne. |
"So war die wahre Liebe in ihnen beiden, beherrschte sie und brannte so in ihnen, daß sie sich fleischlicher Liebe enthielten." |
V 942 – 956 'vrouwe mine, ein dinc wil ich geloben dir, gelobe ouch du daz selbe mir, daz wir kuschliche leben und uns gote alhier begeben; ich wil dich halden immermer als eine keiserinne her, des wil ich letzen dich fur war gewaldes niht als umbe ein har: des suln wir unvermeldet sin.' des lobete got die kunigin mit luterlichem muote, daz er siner huote sie also vollicliche hielt unt doch grozer herschaft wielt |
„Herrin, laß uns eines gegenseitig geloben, daß wir nämlich ein keusches Leben führen und uns ganz Gott hingeben wollen. Ich werde dich stets als die erhabene Kaiserin ansehen und rücke davon nicht um ein Haar ab. Diese Abmachung soll unter uns bleiben. Die Königin dankte Gott aufrichtigen Herzens dafür, daß er sie so väterlich behandelte und daß sie dabei der Herrschaft nicht verlustig ging." |
Die Kinderlosigkeit des Paares beruht somit in der Legende auf dem Akt des beiderseitig beglaubigten Keuschheitsgelübdes. Die Ehe als solche bleibt gewissermaßen unvollendet, weil Heinrich und Kunigunde sich nicht vereinigen. Die körperliche Vereinigung der Geschlechter findet nicht statt. Das beiderseitige, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegebene Gelöbnis, stets unter der Prämisse der gottesvorht ihre kiuscheit zu bewahren, zeigt Heinrich und Kunigunde als tugendhaftes und keusches Ehepaar. Es herrscht die wâre minne statt der vleischlîchen minne. Durch die Legende Ebernands wird somit ein plausibler Grund für ausgebliebene Nachkommen und somit Erben geliefert und Heinrichs Heiligkeit wird durch die Tugend der kiuscheit eine wichtige Basis gegeben.
Indem Heinrich sich gegen das bei Moses postulierte duo in carne una wendet, um sich ganz Gott zu widmen, wird Heinrich als Mann gezeichnet, der von Geist, Wille und Frömmigkeit geleitet ist und sich in seiner Nichtausübung des heiligen Sakraments der Ehe sofort als Mann auszeichnet, der schon über das Fleischliche, über den vergänglichen Körper hinaus handelt und die einzigartige Verbindung zu Gott sucht. So wird vom Dichter, der beide Seiten Heinrichs in der Legende 'zusammenhält', beschrieben, wie sich noch während dem Akt der Zustimmung zum fürstlichen Anliegen die zweite, den Augen der Öffentlichkeit verborgene und nur im Privaten stattfindende Männlichkeitskonstruktion als keuscher, ganz Gott ergebener Herrscher, vollzieht, welche die spätere Heiligkeit prophylaktisch legitimiert. Öffentlich wird die Zustimmung und Identifikation mit der Ehe und somit der Vereinigung der beiden gender 'Mann' und 'Frau' innerhalb dieser Institution gegeben, im Privaten findet zeitgleich die Ablösung vom vergänglichen Körper statt.