1. Der Vasallitätsgedanke und das vollkommene Gottesvertrauen

Das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Herrn und seinen Vasallen entspricht dem zwischen Gott und den Menschen:

 

dâ si gote scolten dienen,                                 Gott zu dienen,

dâ ne gesunderôte si niemen.                            da konnte sie keiner trennen.

(V. 3249-3250)

 

Roland ist ein treuer Vasalle im Dienst seines Herrn Karl und letztlich Gottes, genauso wie der Heilige Sebastian: 

 

wolt got, daz ich des wert wære,                       Wollte Gott, daß ich dessen würdig wäre,

daz ich verdienete den namen,                          daß ich den Namen verdiente,

dar wolt ich gerne gâhen.                                  mit Freuden eilte ich dorthin.

(V. 3882-3884)

 

Die triuwe regelt diese Bindung: Sowohl Roland als auch der Heilige Sebastian vertrauen auf Gott, der ihnen die notwendige Kraft und Hilfe gibt, ihre Dienstpflichten zu erfüllen und für den christlichen Glauben zu kämpfen: 

 

fürchtet nehain ir grôzen mage,                          fürchtet ihre groß Stärke nicht,

got gibet uns urmære craft.                               so verleiht uns Gott doch die allergrößte Kraft.

(V. 5812-5814) 

 

Obwohl beide Figuren von Gott bestärkt werden und schließlich ihre Pflichten tun, triumphieren sie nicht in der gleichen Weise: Roland siegt mittels kämpferischer und geistlicher Handlungen, während der Heilige Sebastian keine Gewalt benutzt und nur durch geistliche Handlungen siegt. Auf jeden Fall wird den Sieg erringen, wer an Gott glaubt und auf ihn vertraut. Deshalb haben die Heiden, wie Roland prophezeit, keine Möglichkeit zu siegen: 

 

für wâr ich dir sage,                                           Ich versichere dir,

di haiden sint vor gote vertailet.                           vor Gott sind die Heiden verurteilt.

(V. 3878-3879)

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Der Pfaffe Konrad: Rolandslied. Halle 1955.

Victorio, Juan: Cantar de Roldán. Madrid 1989.