Modul 1: Grundlagen

Was ist BGF?

Ursprung und Entwicklung I: Die Ottawa-Charta

Bereits in den späten siebziger Jahren zeichneten sich in Europa Entwicklungen ab, die man als erste Vorboten der BGF deuten könnte. Im Mittelpunkt standen Maßnahmen, die den Beschäftigten veranlassen sollten, selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und sein Verhalten entsprechend zu ändern, wie es dieser Zeichentrickfilm aus der DDR auf eine sehr deutliche und etwas morbide Weise demonstriert:

Zeichentrickfilm aus der DDR
Video

Dauer: 2.01 min.








(Zum Abspielen ist der Flash-Player notwendig.)

In den achtziger Jahren war dann der Abschluss der Ottawa-Charta die Geburtsstunde der Gesundheitsförderung als Konzept.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) war damit 1986 Vorreiterin und Organisatorin der ersten Internationalen Konferenzen zur Gesundheitsförderung. Durch sie trafen die Grundsätze der Gesundheitsförderung erstmals auf weltweites Gehör. Aus der Menge internationaler Erklärungen zu diesem Thema sticht die Ottawa-Charta deshalb als Schlüsseldokument heraus, weil sie den Begriff Gesundheitsförderung erstmalig definierte und damit den Grundstein für die weitere Entwicklung und Verbreitung setzte.

Im Folgenden haben wir einen Ausschnitt der Ottawa-Charta für Sie mit Kommentaren versehen, die Sie mit einem Mausklick auf den jeweiligen Absatz abrufen können. Das gesamte Dokument können Sie unter diesem Link einsehen:

„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.

Erklärung:

Dieser Abschnitt betont das sogenannte Empowerment-Prinzip, d.h. die Befähigung der Menschen, in gesundheitlichen Angelegenheiten selbst aktiv zu werden. Dies kann beispielsweise erreicht werden, indem es Personen ermöglicht wird, Gesundheitsrisiken und Gesundheitspotenziale selbst zu erkennen und entsprechend zu regulieren (Badura & Hehlmann, 2003). Nach dem Verständnis der WHO sollen Menschen zu lebenslangem Lernen befähigt werden und Hilfestellungen erhalten, um mit den verschiedenen Phasen ihres Lebens sowie eventuellen chronischen Erkrankungen und Behinderungen umzugehen. Das Prinzip adressiert dabei alle Menschen, nicht nur bestimmte Zielgruppen, wodurch soziale Ungleichheiten kompensiert werden sollen.
Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten.

Erklärung:

An dieser Stelle begegnen wir den idealisierten Vorstellungen des WHO-Gesundheitsbegriffs. Allerdings hier in einer deutlich erweiterten Version, die sich eher mit unserem aktuellen, zuvor dargelegten Verständnis deckt. Gesundheit wird als dauerhafter Entwicklungsprozess verstanden, der sich auf Aspekte der individuellen Handlungsfähigkeit sowie des subjektiven Wohlbefindens bezieht und physische, psychische und soziale Dimensionen umfasst.
Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden.”

Erklärung:

Der letzte Absatz betont die Ganzheitlichkeit und die erforderliche Zuweisung von Verantwortung an die Institutionen, die an der Gestaltung von Lebensbedingungen mitwirken.

Ein Beispiel für Empowerment in der Familie (siehe Kommentar zu Abschnitt 1 der Ottawa-Charta) können Sie im folgenden Filmausschnitt sehen:

An einer anderen Stelle greift die Charta konkret den Einfluss von Umweltbedingungen auf die Gesundheit auf und legt gleichzeitig den normativen Aufgabenbereich der Gesundheitsförderung fest:

“Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert ist, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen." (WHO, 1986, S.5)

Erklärung:

An dieser Stelle wird deutlich, dass Gesundheitsförderung vorrangig die Bedingungen in der entsprechenden Lebenswelt modifizieren soll, weniger das Verhalten der Personen und Personengruppen an sich.

Im nächsten Abschnitt sprechen wir darüber, in welchem Rahmen die Arbeits- und Lebensbedingungen verändert werden sollen.


vhb-Kurs Betriebliche Gesundheitsförderung | © 2014 Prof. Jörg Wolstein | Otto-Friedrich-Universität Bamberg