6. Öffentlichkeit - Privatheit: das geheime Keuschheitsgelübde

Wie wird der Herrscher zum Heiligen? Erst einmal durch heimliche Keuschheitsgelübde.

Es wird eine Sphäre der Heimlichkeit aufgemacht: Auch wenn Heinrich den Fürsten äußerlich zustimmt ('er sprach'), tut er dies nur unter der - im nicht-öffentlichen Modus ('er dâhte') ausgesprochenen - Bedingung, seine kiuscheit niemals zu verlieren:

 

V 784 - 799

der kunic hâte schiere entsaben,

was sie die rede karten;

die sine in alle larten,

daz er hêre guote

entwiche sînem muote

und leiste der fursten bete:

ûf gotes trôst er ez tete.

Er dâhte: 'er sol mich wol bewarn,

daz ich mit kûscheit vollenvarn

hin biz an mîn ende.'

er sprach: 'ich wil wende

nâch ûwerm râte mînen muot,

ir hêren, swar ûch dunkel guot:

daz lâze ich uch wol schouwen.

nû kieset eine vrouwen,

in welchem lande ir wellet, [...]

 

„Worauf sie hinauswollten,

bemerkte Heinrich sehr bald,

daß er nämlich seine Absicht aufgäbe

und der Bitte der Fürsten entspräche.

Mit Gottes Hilfe tat er es denn auch.

Er dachte: „Möge er Sorge tragen,

daß ich bis an mein Lebensende meine Keuschheit bewahre.“

Zu den Fürsten aber sprach er:

„Ich will euerm Rat folgen und meine Absicht ändern.

Ihr Herren, ich gebe euch freie Hand,

schaut euch um nach welchem Land ihr wollt

und sucht mir eine Gemahlin[...]“

Heinrich wird so in dieser 'zweipoligen' Darstellung als verständiger, dem Volk, dem Gesetz und der allgemeinen, weltlichen Norm zugewandter Mann beschrieben. In seiner Funktion als Machthaber verkörpert er die herrschende gesellschaftliche Norm als übergeordnetes, durch Gottesgnade legitimiertes Ideal der Hegemonialen Männlichkeit.

Dieses Männlichkeit verkörpert der 'Legenden-Heinrich' in seiner Aufgabe als Herrscher über das römische Reich und somit auch über die - mithilfe klerikaler Diskurse der katholischen Kirche - normative Geschlechterdichotomie, welche Ehe und Heirat als wichtigste Institutionen und somit 'Performanzräume' benötigt. Diese Seite Heinrichs wird als die öffentliche, die sichtbare Performanz seiner hegemonialen Männlichkeit beschrieben.

Stünde der Herrscher als alleiniger Machthaber ohne eine Frau an seiner Seite an oberster Stelle des weltlichen Reiches, wäre nicht nur die Einteilung der gender in 'Mann' und 'Frau', welche sich in der Ehe vereinen, gefährdet, sondern auch die Männlichkeit Heinrichs.

Seine Identität als Herrscher konstituiert sich zu Beginn schlicht durch seine Wahl zum König, anschließend im Kampf gegen die Wenden zur Wiederherstellung der Ehre seines Reiches und in der Wiedererrichtung von Bistümern. Männlichkeit stellt sich in erster Linie jedoch durch die Gegenüberstellung und Abgrenzung von Weiblichkeit her, wofür – wie erwähnt – Ehe und Heirat die nötige Schablone stellen. Heinrich ergibt sich dem Wunsch der Fürsten. In Gedanken agiert er bei Ebernand jedoch bereits ganz dem Heiligen zugewandt - auch Kunigunde erweist sich glücklicherweise als keusche Braut -->