11. Hegemoniale - Defizitäre - Heilige Männlichkeit

Krankheit, Kinderlosigkeit und Keuschheit sind im ganzen Diskurs um Heinrich stark miteinander verknüpft: Einerseits wird die Krankheit teilweise als Grund für die Kinderlosigkeit gedeutet und als 'Lendenlahmheit' ausgelegt oder die Operation an den Blasensteinen wird als Grund für eine Verletzung der inneren Organe und somit für die Kinderlosigkeit des Paares genannt. Beides sind Beeinträchtigungen hegemonialer Männlichkeit. Dieser Diskurs findet sich jedoch eher im Volksmund. In der literarischen Auslegung des Heiligenlebens ist - wie erwähnt - die kiuscheit bewusste Entscheidung gegen ehelichen Beischlaf und somit gegen die vom Volk und von den Fürsten erhoffte Zeugung von Nachkommenschaft. Das Männlichkeitsbild von Heinrich bleibt so kohärent: Bei entscheidenden, einen weltlichen Herrscher als defizitären Herrscher auszeichnenden Mängeln wie Kinderlosigkeit und Krankheit wird in der Legende umgedeutet in Willensakt und Gottesprüfung. Der leere Raum zwischen der Männlichkeit des weltlichen Hegemonen und der Heiligen Männlichkeit wird so durch die Umdeutung dieser Defizite in edle Gottestreue und göttlich-prüfende Zuwendung plausibel ausgefüllt. Gründe für die Kanonisation werden geliefert und Zweifel an der kohärenten herrschaftlichen Männlichkeit werden zeitgleich ausgeräumt. Zweifel und Ungläubigkeit am 'frommen Heinrich' werden durch die Sphäre der Heimlichkeit ausgeschaltet: Woher soll das Volk denn wissen, was Heinrich im Stillen beschlossen hat?

 

Noch einmal zur Räderuhr zurück: Nach all den Textbezügen sieht man: Immer noch Mann und Frau, immer noch Heinrich und Kunigunde.

Doch viele Details sind nun vielleicht anders interpretierbar: Drückt sich in dem dicken Bauch Kunigundes vielleicht der Wunsch des Volkes nach einer 'Maria' aus, nach einer jungfräulich Gebärenden?

Nach Nachfolgern von Heinrich und Kunigunde?

Ist Kunigundes rosiges, jugendliches Gesicht im Gegensatz zum alten, ernsten und 'väterlichen' Antlitz Heinrichs als künstlerische Interpretation der Josefsehe zu verstehen? In der christlichen Ikonographie werden Maria und Josef häufig nach diesem Schema abgebildet.

Keine der Fragen ist eindeutig zu beantworten, sicher ist jedoch, dass Heinrich II. von literarischen und künstlerischen Erzeugnissen, Legenden, Erzählungen und Geschichten unheimlich stark überlagert ist. Daraus kristallisiert sich so weniger ein Bild des echten Heinrich als ein Bild eines - guten oder bösen, hegemonialen oder defizitären - Herrschers. Männlichkeitsvorstellungen und historische Geschlechterschablonen können so an der Konstruktion eines Heiligen Herrschers abgelesen werden.