9. Krankheit als Gottesprüfung

Die Zeichnung Heinrichs als Herrscher, der schon zu Lebzeiten ganz auf Geistlichkeit ausgerichtet ist und sich dem vergänglichen Körper entzieht, verdeckt die 'Mängel' des eigentlichen 'hegemonialen' Herrscherkörpers: Krankheit und - wie im vorherigen Kapitel besprochen - Kinderlosigkeit. Auf dieser Seite ist von Heinrichs defizitärer Männlichkeit in Form einer rätselhaften Krankheit zu lesen.


Der kranke Leib

Heinrich litt zeitlebens an einer die Organe betreffenden Krankheit. Über die Frage, welche Organe genau betroffen waren, rätselten und rätseln Chronisten, Geschichtsschreiber und Mediziner damals und heute. Thietmar von Merseburg spricht in seiner Chronik von Kaiser Heinrichs angeborener Krankheit. Bei ihm und anderen Chronisten wird teils von einer Kolik, teils von Lahmheit, teils gar von Epilepsie gesprochen.

In der Legende wird die Krankheit in den Kapiteln XXIV. und XXV. aufgegriffen und als Steinleiden charakterisiert:

V 1671 – 1675

Da bestuont in ouch michel nôt,

er wart siech wan an den tôt,

der edele hêre reine:

ez kam im von dem steine,

der was im dô gewahsen grôz.

„Aber Heinrich geriet auch in große Bedrängnis,

denn der edle Herrscher wurde todkrank.

Das kam von einem großen Blasenstein in seinem Leibe.“

Es fällt – vor allem in der ursprünglichen mhd. Version – auf, dass der Stein als eigenmächtiges Gebilde den Körper zu 'überwuchern' scheint und den edelen hêren bedrängt. Nicht Heinrich ist krank, sondern die Krankheit bemächtigt sich seiner. Ein Grund für diesen den Herrscherkörper bedrängenden, tödlichen steine wird gegen Ende des Kapitels geliefert: Gott prüft die, die ihn lieben.

V 1685 – 1687

wand alle, die got liep hân

wil er mit sûche versuochen sân.

wie wîslîch daz er dâhte!

„Denn alle, die Gott lieben,

werden von ihm auf die Probe gestellt.

Wie klug, daß Heinrich auch so dachte!“

Heinrich ersucht im Kloster Cassino Hilfe durch Fürbitten des Hl. Benedikts und der Hl. Scholastika. Nach einem ermüdenden Weg zurück, legt er sich in sein Bett und schläft. Es erfolgt die göttliche Heilung und somit literarische Heiligsprechung des Herrscherkörpers von Heinrich:

 

Die wunderbare Heilung des Kaisers von einem Steinleiden durch den hl. Benedikt soll im Traum geschehen sein, der Leibarzt des Kaisers ist, völlig übermüdet, eingeschlafen.

V 1737-1745

dô der hêre lac alsus,

sanctus Benedictus

erschein im in dem slâfen.

er truoc ein kleinez wâfen,

gefuoge unde harte scharf gestalt,

als der man bedarf

ze snîden die siechen mite

nâch guoter arzâte site,

die den stein buozen.

Der heilige Benedikt entfernt den Stein und legt ihn Heinrich in die Hand, wo ihn dieser am Morgen nach dem Aufwachen findet. Mit großer Freude lässt Heinrich alle weltlichen und geistlichen Fürsten herbeirufen und zeigt er Stein als auch Narbe als Beleg der wundersamen Heilung durch die Gnade Gottes. Heinrich dankt dem Hl. Benedikt, indem er das Kloster Cassino mit Gütern und Ländereien beschenkt.

Kunigunde wird in diesen die Krankheit thematisierenden Kapiteln nicht erwähnt: Der kranke Heinrich muss alleine pilgern und beten, bis er schließlich geheilt wird.