Zur Unterscheidung: Nicht-Realistisches Erzählen

Realistisches vs. Nicht-Realistisches Erzählen: Ein Abstufungsprozess

So unterschiedlich die Anfänge von Kellers Kleider machen Leute und Hardenbergs Tröstung auch sind: Diese beiden Typen von Texten und entsprechenden Lektüren sind allenfalls Pole; es handelt sich eher um Extrempositionen eines Kontinuums als um trennscharfe Kategorien (vgl. Baßler 2015, 26). 

Es muss entsprechend festgehalten werden: Es gibt nicht einfach realistische und nicht-realistische Literatur. In jedem Text werden bestimmte Erzählverfahren angewandt, diese können mehr oder weniger realistisch sein. Es gibt also eine fließende Abstufung zwischen Realismus und Nicht-Realismus‘, eine ganz eindeutige Zuordnung ist nur in wenigen Fällen möglich. Jeder Text muss individuell beurteilt werden und da kulturelle Codes individuell unterschiedlich sind, kann auch das Prädikat realistisch‘ oder nicht-realistisch‘ unterschiedlich ausfallen. 

Beispiel Kafka als Ausnahmefall:

Die Moderne und insbesondere der Expressionismus sind eher für den Bruch mit realistischen Erzählverfahren bekannt. Kafka ist hier eine Ausnahme. Selbstverständlich handelt es sich bei Kafkas Texten um eine andere Form des Realismus als in den Erzähltexten des Poetischen Realismus. Er wendet allerdings ein realistisches Erzählverfahren an und vermeidet damit die Unlesbarkeit expressionistischer Prosa, wie am Beispiel von Hardenbergs Tröstung aufgezeigt. 

In der Lektion zur Klassischen Moderne werden Sie sich genauer mit dem Werk Franz Kafkas auseinandersetzen und dessen besondere Form des Realistischen Erzählens kennenlernen. Das Beispiel soll Ihnen an dieser Stelle aufzeigen, dass man nicht pauschal für bestimmte Epochen realistische oder nicht-realistische Erzählverfahren attestieren kann, es muss stets jeder Text individuell betrachtet werden.