2. Bacchus - wahnsinniger Gott

2.2. Iweins und dionysischer Wahnsinn: Parallele

Identitätsverlust

Iwein verliert seine ritterliche Identität. Er reißt die ritterliche Kleidung (Äußere) weg und führt eine verwilderte Lebensweise (Innere). Er vergisst sein bisheriges ritterliches Leben. Vergleichbar reißt der dionysische Wahnsinn die Menschen aus dem geordneten Lebens mit heraus, sodass sie ihre Sitten und Tätigkeit vergessen.

V. 3257-3260

Der ie ein rehter adamas

Rîterlîcher tugende was,

Der lief nû harte balde

Ein tôre in dem walde

 

 Der stets ein Kleinod

ritterlicher Vollkommenheit gewesen war,

der lief nun

als Wahnsinniger im Walde umher. 

Nacktheit und Besitzlosigkeit

Die Wahnsinnsperiode im Wald verbringt Iwein nackt. Die Kleidung und sein Besitz werden ihm nicht entnommen, sondern er reißt sein Gewand im Wahnsinnsrausch herunter. Ebenso reißen die Trinkenden ihre Kleidung herunter und selbst Dionysos tritt nackt auf. So korrespondiert die völlige Nacktheit mit dem Identitäts- und Verstandesverlust.Der Iweins Körper aber wird schwarz und zeigt die Verwilderung. Dionysos nackter Körper bleibt hell und bewahrt seine Schönheit.

V. 3231-3238

Dô wart sîn riuwe alsô grôs

Daz im in das hirne schôz

ein zorn unde ein tobesucht,

Er brach sîn site unt sîne zuht

Und zarte abe sîn gewant,

Das er wart blôz sam ein hant

Sus lief er über gevilde

Nacket nâch der wilde.

 

Da wurde sein Schmerz derart gewaltig,

daß ihm Wut und Tobsucht

ins Gehirn fuhren,

er vergaß eine Gesittung und Erziehung

und riß sich das Gewand vom Leibe,

daß er splitternackt war.

So lief er über das Feld

nackt der Widnis zu.

 


Weiterführende Literatur:

1. Hartmann von Aue: Iwein. Hg. v. G.F. Benecke/K. Lachmann. Berlin, New York 1974.

2. Krause, Burkhardt: Zur Psychologie von Kommunikation und Interaktion. Zu Iweins „Wahnsinn“. In: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions. Hg. v. Jürgen Kühnel. Göppingen, Kümmerle 1985, S. 215-242.

3. Matejowski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt (Main) 1996.

4. Winst, Silke: Körper und Identität. Geschlechtsspezifische Codierungen von Nacktheit im höfischen Roman um 1200.In:Und sie erkannten, dass sie nackt waren. Nacktheit im Mittelalter. Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hg. v. Stefan Biessenecker. Bamberg 2008, S. 337-355.