3. Verbindung des Objekts zur Literatur des Mittelalters.

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Курс: Rivalisierende Männlichkeiten
Книга: 3. Verbindung des Objekts zur Literatur des Mittelalters.
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Дата: събота, 23 ноември 2024, 14:31

Описание

Weinrausch, Wahnsinn und Nacktheit kommen im dionysischen Kult in Verbindung. In diesem Buch werden die Beispiele aus Carmina Burana und Hartmanns von Aue Iwein erwähnt, die Relation zwischen diesen drei Elementen zeigen. Im vorliegenden Bild stellt dionysischer Körper die Schönheit des männlichen Körpers dar. So wird im Weiteren auch das Thema des männlichen Körpers als Blickobjekt am Beispiel Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde analysiert.

1. Bacchus-trinkender Gott.

Dionysos steht für Weinrausch und Weinseligkeit. Die Macht des Weins ergreift die Menschen und bringt die Befreiung von der Alltäglichkeit. In der bildenden Kunst wird Bacchus mit dem Weinbecher und mit den Weintrauben dargestellt.

1.1. Carmina Burana. Zusammenhang der Nacktheit und des Weinrausches.

Trinkszene aus der Codex Burana.

Die Trink- und Spielerlieder aus Carmina Burana,  Anthologie der Lied- und Dramentexten, setzen die griechische Idee des Gottes Dionysos fort. Bacchus verfügt über Gewalttätigkeit und die Griechen wollten den erweiten Sinn der Trunkenheit mittels Dionysos-Figur ausdrücken.

Lied 200

Bacchus bewirkt als Gottheit bei den Menschen

Heiterkeit, macht sie gleichermassen gelehrt und redegewandt

Bacchus, gepriesener Gott, alle, die wir hier anwesend sind,

sind froh, das Opfer deiner Gaben zu begehen

Lied 200

Bacchus numen faciens hominem  iocundum,

reddit eum pariter doctum et facundum.
Istud vinum, bonum vinum, vinum generosum,

reddit virum curialem, probum, animosum.

Vom dionysischen Rausch werden Trinkende mitgerissen. Das findet seine Widerspiegelung in den Szenen der Carmina Burana. „Bacchus“ personifiziert hier den Weinrausch. In diesem Rausch entkleiden sich die Menschen und schenken ihre Kleidung Bacchus. Die Entkleidung und Nacktheit treten als Elemente der Dionysischen Kulte auf. Wahnsinn und Nacktheit stehen im engen Zusammenhang.

Lied 196

Einige spielen, einige trinken,

einige leben liederlich.

Von diesen werden aber einige entblößt,

die beim Spiel verweilen;

einige werden dort bekleidet,

einige mit Säcken angezogen,

Dort fürchtet j´keiner der Tod,

sondern um Bacchus wird gewürfelt

Lied 196

Quidam ludunt, quidam bibunt,

Quidam indiscrete vivunt.

Sed in ludo qui morantur,

Ex his quidam denundantur,

Quidam ibi vestiuntur,

Quidam saccis induuntur.

Ibi nullus timet mortem,

Sed pro Baccho mittunt sortem

Lied 197

Das ist ein lieber, gastfreundlicher Ort.

Bacchus erhebe, Venus verwöhne

unsere Herzen kraft der Börse,

er wandle unsere Kleider zu Pfändern

und berechne sie

Lied 197

locus hic est hospiti.

Bacchus tollat, Venus molliat

vi bursarum pectora

et immutet et computet

vestes in pignora.


Weiterführende Literatur:

1. Carmina Burana. Lieder aus Benediktbeuren. Hg. v. Matthias Hackermann. Köln 2006.


 

2. Bacchus - wahnsinniger Gott

Der trinkende Gott Dionysos wird auch als „wahnsinniger“ und „sinnverwirrender“ Gott bezeichnet. Mit seiner Erscheinung wurde die Ordnung des Alltags gestört sowie den Menschen der Verstand genommen. Er ruft zum bacchantischen Fest auf und keinem ist es möglich, dem Weinrausch zu widerstehen. So lässt sein Gefolge alleTätigkeit und folgt dem Weingott ergeben.

Der dionysische Wahnsinn symbolisiert die Zersprengung der alltäglichen Pflichten und selige Befreiung. Das Kommen des wahnsinnigen Gottes bringt auch den Schrecken mit, da man dem Wahnsinn nicht abwehren kann:

„... wie ein Sturm unter die Menschen tritt, sie erschüttert und ihren Widerstand mit der Peitsche des Wahnsinns bändigt. Das Dasein wird plötzlich zum Rausch - zum Rausch der Seligkeit, aber nicht weniger zu dem des Schreckens“

Walter F. Otto, Dionysos. Mythos uns Kultus.


Weiterführende Literatur:

1. Abenstein, Reiner: Griechische Mythologie. Stuttgart 2005.

2. Otto, Walter F.: Dionysos. Mythos und Kultus. Darnstadt 1960.


 

2.1. Wahnsinnsperiode und männliche Nacktheit im Hartmanns von Aue „Iwein“

Der Zusammenhang von Nacktheit und Wahnsinns kommt in Hartmanns von Aue „Iwein“ vor. Iwein folgt dem Rat Gaweins und begibt sich auf Aventiurefahrt. Laudine, seine Ehegattin, aber fordert, dass Iwein nach einem Jahr und einem Tag zurückkehren muss. Im Laufe der Turniere bemerkt Iwein erst zu spät, dass er den Termin verpasst hat. Die Dienerin Lunete teilt ihm mit, dass Laudine sich von Iwein abgewendet hat. Iwein wird von dem Wahnsinn ergriffen, reißt sich die Kleider vom Leib und flüchtet nackt in den Wald.

Im Roman ist Iweins Wahnsinnsperiode ein Übergang und Wendepunkt. Iwein verliert alle Eigenschaften des Arturritters und nimmt im Gegensatz zu der höfischen zivilisierten Gesellschaft eine natürliche, unzivilisierte Lebensweise an. Von seinem Wahnsinn muss Iwein erste geheilt werden, nach seiner Heilung legt er auch wieder Kleidung an.


2.2. Iweins und dionysischer Wahnsinn: Parallele

Identitätsverlust

Iwein verliert seine ritterliche Identität. Er reißt die ritterliche Kleidung (Äußere) weg und führt eine verwilderte Lebensweise (Innere). Er vergisst sein bisheriges ritterliches Leben. Vergleichbar reißt der dionysische Wahnsinn die Menschen aus dem geordneten Lebens mit heraus, sodass sie ihre Sitten und Tätigkeit vergessen.

V. 3257-3260

Der ie ein rehter adamas

Rîterlîcher tugende was,

Der lief nû harte balde

Ein tôre in dem walde

 

 Der stets ein Kleinod

ritterlicher Vollkommenheit gewesen war,

der lief nun

als Wahnsinniger im Walde umher. 

Nacktheit und Besitzlosigkeit

Die Wahnsinnsperiode im Wald verbringt Iwein nackt. Die Kleidung und sein Besitz werden ihm nicht entnommen, sondern er reißt sein Gewand im Wahnsinnsrausch herunter. Ebenso reißen die Trinkenden ihre Kleidung herunter und selbst Dionysos tritt nackt auf. So korrespondiert die völlige Nacktheit mit dem Identitäts- und Verstandesverlust.Der Iweins Körper aber wird schwarz und zeigt die Verwilderung. Dionysos nackter Körper bleibt hell und bewahrt seine Schönheit.

V. 3231-3238

Dô wart sîn riuwe alsô grôs

Daz im in das hirne schôz

ein zorn unde ein tobesucht,

Er brach sîn site unt sîne zuht

Und zarte abe sîn gewant,

Das er wart blôz sam ein hant

Sus lief er über gevilde

Nacket nâch der wilde.

 

Da wurde sein Schmerz derart gewaltig,

daß ihm Wut und Tobsucht

ins Gehirn fuhren,

er vergaß eine Gesittung und Erziehung

und riß sich das Gewand vom Leibe,

daß er splitternackt war.

So lief er über das Feld

nackt der Widnis zu.

 


Weiterführende Literatur:

1. Hartmann von Aue: Iwein. Hg. v. G.F. Benecke/K. Lachmann. Berlin, New York 1974.

2. Krause, Burkhardt: Zur Psychologie von Kommunikation und Interaktion. Zu Iweins „Wahnsinn“. In: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions. Hg. v. Jürgen Kühnel. Göppingen, Kümmerle 1985, S. 215-242.

3. Matejowski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt (Main) 1996.

4. Winst, Silke: Körper und Identität. Geschlechtsspezifische Codierungen von Nacktheit im höfischen Roman um 1200.In:Und sie erkannten, dass sie nackt waren. Nacktheit im Mittelalter. Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hg. v. Stefan Biessenecker. Bamberg 2008, S. 337-355.


 

 

2.3. Iweins und dionysischer Wahnsinn: Parallele.

Hingabe der Natur und Verwilderung

Iwein gibt sich der Natur hin und wird zu einem Waldmenschen. Seine wilde Erscheinung steht im Kontrast zum Artushof und dessen Ordnung. Ähnlich  wird die dionysische Raserei mit Wildheit assoziiert. Nacktheit symbolisiert in diesem Zusammenhang Befreiung von der gesellschaftlichen Ordnung, die durch Kleidung gesetzt wird. Sowohl Iwein als auch Bacchus ziehen durch den Wald und präsentieren ungezwungen ihre von Gott gegebenen Körper.

V. 3356-3360

Wart er ie hovesch unde wîs,

Wart er ie edel unde rîch,

dem ist er nû vil ungelîch.

Er lief nû nacket beider,

Der sinne unt cleider

 

wenn er je höfisch und klug war,

wenn er je edel und reich war,

so war ihm das jetzt nicht mehr anzusehen.

Er war entblößt

von Verstand wie von Kleidern

 

Verstoß gegen Ordnung

V. 3234

"Er brach sîn site unt sîne zuht"  - "Er vergaß seine Gesittung und Erziehung"

Iwein verstößt gegen geordnete Hofgesellschaft und Artushof. Der Dionysos-Kult, der im Mittelpunkt Rausch und Raserei hat, verstößt auch gegen die Regeln der aristokratischen Gesellschaft.


Weiterführende Literatur:

1. Hartmann von Aue: Iwein. Hg. v. G.F. Benecke/K. Lachmann. Berlin, New York 1974.

2. Krause, Burkhardt: Zur Psychologie von Kommunikation und Interaktion. Zu Iweins „Wahnsinn“. In: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions. Hg. v. Jürgen Kühnel. Göppingen: Kümmerle 1985, S. 215-242.

3. Matejowski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt (Main) 1996.

4. Winst, Silke: Körper und Identität. Geschlechtsspezifische Codierungen von Nacktheit im höfischen Roman um 1200.In:Und sie erkannten, dass sie nackt waren. Nacktheit im Mittelalter. Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hg. v. Stefan Biessenecker. Bamberg 2008, S. 337-355.


 

3. Bacchus nackter Körper als Blickobjekt.

Der dionysische Körper diente in der bildenden Kunst für Darstellung des jungen, schönen Körpers. Folglich nimmt der männliche Körper eine ungewöhnliche Rolle ein, die traditionell dem weiblichen Körper zugeschrieben wird. Der Bacchus-Körper wird zum Blickobjekt.

3.1. Gottfried von Straßburg "Tristan und Isolde".

Die bekannteste Szene der mittelalterlichen Literatur, wo das männliche Subjekt zum Angeschauten wird und ein weibliches Subjekt als Schauende auftritt, ist in Gottfrieds von Straßburg Tristan und Isolde zu finden.

Nach dem Drachenkampf und vor der Entlarvung des Truchsessen als Lügner, befindet sich Tristan als Spielmann Tantris am irischen Hof im Bad.

Tristan wird von Isolde heimlich angeschaut. Ähnlich wie der dionysische Körper zeichnet sich der Körper Tristans durch die Schönheit und Adeligkeit aus. Das und seine Ritterlichkeit machen ihn zum Ideal der höfischen Gesellschaft. Sein Körper wird dem weiblichen Blick exponiert und der Anblick des schönen Körpers löst Freude Isoldes aus. Der Mann und Frau tauschen ihre traditionelle Rollen. So tritt Isolde als aktiver und Tristan als passiver Part auf.

V. 9990-10004

ouch was er iezu wol genesen,

lieht an dem lîbe und schône var.

nu nam Isôt sîn dicke war

und marcte in ûzer mâze

an lîbe und an gelâze.

si blickte im dicke tougen

an di hende und under d'ougen.

si besach sîn arme und sîniu bein,

an den ez offenlîche schein,

das er so tougenlîche hal.

si bespehete in obene hin zetal.

swaz maget an manne spehen sol,

daz geviel ir allez an im wol

uns lobete ezin ir muote.

 

Auch war er jetzt erholt

und hatte wieder helle Haut und schöne Gesichtsfarbe.

Isolde blickte ihn oft an

und betrachtete mit außerordentlichem Interesse

seinen Körper und sein Gebaren.

Sie schaute ihm oft heimlich

auf die Hände und in die Augen.

Sie sah seine Arme und Beine an,

an denen offenbar wurde,

was er verbarg.

Sie musterte ihn von oben bis unten.

Was immer ein Mädchen an einem Mann betrachten soll,

das alles gefiel ihr gut an ihm,

und sie pries es an ihren Gedanken.


Weiterführende Literatur:

1. Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Hg. v. Rüdiger Krohn. Stuttgart 1980.

2. Uttenreuther, Melanie: Die (Un)ordnung der Geschlechter. Zur Interdepenz von Passion, gender und genre in Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde. Bamberg 2009.


 

3.2. Gottfried von Straßburg "Tristan und Isolde"

tristanTristan aber tritt vor Isolde als Spielmann Tantris und nicht als adeliger Ritter auf. Diese gesellschaftliche Rolle entspricht seinem vollkommenen Leib nicht. Deshalb wird Tristans hegemoniale Männlichkeit marginalisiert. Erst wenn Isolde in Tantris Tristan erkennt wird das Äußere dem Inneren seiner Männlichkeit angepasst.

V. 10027-10032

ein lîp also gebaere,

der sô getugendet waere,

der solte guot und êre han.

an ime ist sêre missetân.

got hêrre, dû hâst ime gegeben

dem lîbe ein ungelîchez leben.

 

Ein so stattlicher Mann

mit so vielen Vorzügen

sollte Besitz und Ansehen haben.

Ihm geschieht schweres Unrecht.

Gott und Herr, du hast ihm beschieden

zu einem Äußeren einen unpassenden Stand.


 Weiterführende Literatur:

1. Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Hg. v. Rüdiger Krohn. Stuttgart 1980.

2. Uttenreuther, Melanie: Die (Un)ordnung der Geschlechter. Zur Interdepenz von Passion, gender und genre in Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde. Bamberg 2009.