vhb-Kurs Allgemeine Psychopathologie

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Geschichtlicher Abriss

Dieser Abschnitt ist Bonuswissen.

Frühe Hochkulturen

Schon die frühen Hochkulturen beschäftigten sich mit Psychohygiene, wie sich aus Hieroglyphen und Keilschriften entziffern lässt. Ebenso finden sich Anweisungen zu diesem Thema in altchinesischen und altindischen Spruchsammlungen. Beschreibungen von Melancholie, Geistesschwäche und Erregtheit finden sich in ägyptischen Papyri aus dem 1. Jahrtausend v. Chr.

Antike

In der griechischen und römischen Antike beschäftigten sich die Philosophieschulen mit der Beschaffenheit der Seele, während in den medizinischen Ausbildungsstätten ihre krankhaften Veränderungen betrachtet wurden. Die Frage, wie die Entitäten "Geist" und "Körper" miteinander verknüpft sind und aufeinander einwirken ("Leib-Seele-Problem") war schon zu dieser Zeit von großer Bedeutung und wurde z.B. von Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) und später von Thomas von Aquin (1206 - 1280) diskutiert.

Mittelalter und Beginn der Neuzeit

Während des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit wurden psychisch Kranke und Abnorme als von Dämonen besessen gesehen, ungewöhnliches Benehmen wurde als Werk des Teufels verstanden. Unter Folter kamen absurde Geständnisse zustande und viele Menschen starben auf Scheiterhaufen. Albertus Magnus (1206 - 1280), Duns Scotus (1268 - 1308) und Nicolaus Cusanus (1401 - 1464) ist es zu verdanken, dass die aristotelischen Betrachtungen zur Willens- und Bewusstseinspsychologie auch während dieser düsteren Zeit nicht in Vergessenheit gerieten.

Aufklärung

Naturphilosophische und empirisch-psychologische Erkenntnisse lösten mit Beginn der Aufklärung die religiös-spekulativen Konzepte psychischer Krankheiten ab. Beruhend auf genauen klinisch-psychopathologischen Beobachtungen wurde z.B. vom Arzt F. Plater (1536 - 1614) eine differenzierte Systematik der Geistesstörungen aufgestellt, in der präzise Zwangs- und Wahnsymptome, Hypochondrie, Melancholie und Symptome des Delirs der Trunksucht, der Eifersucht und der Verblödung beschrieben wurden.

(Für Zwang, Hypochondrie siehe: Befunde → Befürchtungen und Zwänge → Symptome
Für Wahn siehe: Befunde → Wahn
Für Delir siehe: Befunde → Psychiatrische Notfälle → Delir)

Psychoanalyse

Erste psychologisch-psychodynamische Betrachtungsansätze wurden von J.M. Charcot (1825 - 1893) und seinem Schüler P. Janet (1859 - 1947) vertreten. Letzterer widmete sich der Untersuchung von Hysterie, Psychasthenie, Angst und Ekstase. Ungefähr zeitgleich mit Janet entwickelte S. Freud (1856 - 1939) in Wien die Psychoanalyse.

Die erste psychologische Klinik für Kinder und Jugendliche wurde 1896 von L. Witmer (1867 - 1956) in Pennsylvania eingerichtet. W. Griesinger (1817 - 1956), der an der Berliner Charité den Lehrstuhl für Psychiatrie innehatte, betonte den engen Zusammenhang zwischen Hirnkrankheiten und Geistesstörungen und schrieb 1845 das Lehrbuch "Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten". Fachzeitschriften erschienen in Frankreich (1843, Annales médico-psychologiques), den USA (1844, American Journal of Insanity) und England (1848, Journal of Psychological Medicine and Mental Pathology). 1912 brachte W. Specht in Deutschland die Zeitschrift für Pathopsychologie heraus.

19. Jahrhundert

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von der medizinisch-naturwissenschaftlichen bzw. "objektiven Psychopathologie". Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die anthropologische Perspektive vermehrt miteinbezogen, d.h. der Person und Personalität des Kranken wurde wieder Beachtung geschenkt.

Der Ansatz der verstehenden Psychopathologie ist auf den Philosophen W. Dilthey (1833 - 1911) zurückzuführen, der dem analysierend-erklärenden Ansatz der Naturwissenschaften den verstehenden Ansatz der Geisteswissenschaften gegenüberstellte.

K. Jaspers integrierte Ansätze von Philosophen, Psychologen, Psychiatern und Philosophen und gab 1913 das mittlerweile weltweit bekannte und vielfach aufgelegte Lehrbuch "Allgemeine Psychopathologie" heraus. Jaspers ist auch deshalb eine wichtige Persönlichkeit in der Geschichte der Psychopathologie, weil es ihm gelang, diesem Fachgebiet den Rang einer empirisch-methodischen Wissenschaft zu verleihen mit klaren Definitionen und festen Begriffen, orientiert an der strengen Unterscheidung zwischen erklärendem und verstehenden Vorgehen.

Klassifikationssysteme

K. Schneider (1887 - 1967) erarbeitete u.a. eine "klinische Psychopathologie", mit deren Hilfe beispielsweise "Symptome ersten Ranges" bei Schizophrenie eingestuft werden können. Diese diagnose- und praxisrelevanten Einteilungen wurden abgelöst von den gegenwärtig verwendeten, streng operationalierten Klassifikationssystemen ICD und DSM (siehe Kapitel Diagnosen → Einleitung).

Salutogenese

Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich die pathologische Auffälligkeiten im Fokus der Aufmerksamkeit standen, wurden in den letzten Jahrzehnten weitere Faktoren wie die individuelle Befindlichkeit des Patienten, soziale Interaktionen und neue Erkenntnisse über neurophysiologische und neurochemische Korrelate psychischer Leistungen verstärkt berücksichtigt. Ein echter Kontrast zum traditionellen biomedizinischen Krankheitsmodell sind multidimensionale Ansätze, angelehnt am biopsychosozialen Gesundheitsmodell bzw. Salutogeneskonzept nach A. Antonovsky (1923 - 1994).

(Payk, 2007)


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