6. Die wechselseitige Konstruktion von Geschlecht im Objekt

Bild Räderuhr ohne Figuren

Mann rechts, Frau links, Dom in der Mitte: Bei den beiden Figuren der Räderuhr konstruiert sich Geschlecht vor allem durch Unterschiede in der Anordnung, der Kleidung und der Haltung von Heinrich und Kunigunde. Geschlecht wird somit 'im Vergleich', in der Gegenüberstellung von männlich und weiblich konnotierten Merkmalen konstruiert. Hierarchische Unterschiede werden durch das Halten des Domes jedoch fast gänzlich negiert. Im Folgenden wird kurz skizziert, wie der Künstler die Dimensionen 'Männlichkeit' – 'Weiblichkeit' herstellt.

 

 

Heinrich

Die Figur zur rechten Seite des Aposteleinganges erscheint als aufrecht stehende, schlanke und hoch gewachsene Gestalt. Sie ist mit Krone, Herrscherornat und Geldsack in der Rechten und dem Dom-Modell in der Linken dargestellt. Zudem trägt sie einen langen Bart. Durch eine leicht schräge Haltung tritt rechts der Fuß aus dem Herrschergewand hervor. Der Gesichtsausdruck der Figur ist ernst, sie schaut den Betrachter frontal an. Sowohl Bart, Geldsack als auch die Stellung auf der 'bevorzugten' rechten Seite weisen auf eine durch diese sichtbaren Attribute gestaltete Männlichkeit hin. Der Bart erscheint zudem als Zeichen des Alters und der wîsheit, Heinrich erscheint nicht als junger, fruchtbarer Mann, sondern als gewachsener, alter und väterlicher Herrscher. Der Mantel verleiht zusätzliche Fülle und ist neben Krone und dem Finanzkraft bzw. Stiftertätigkeit symbolisierenden Geldsack wichtigstes Insigne der Herrschaft. Der sichtbare Fuß kann als Zeichen des männlichen sex interpretiert werden.

 


 

 

 

 

 

 

 

Kunigunde

Die Figur zur linken Seite erscheint mit schmalem, fließendem Gewand in blauer Farbe und trägt ebenfalls einen Herrschermantel und eine Krone. Die Haare sind nach oben gesteckt, der schmale Hals ist deutlich sichtbar. Mit ernstem, aber freundlichem Gesichtsausdruck blickt sie die männlich gestaltete Figur an. In ihrer Rechten trägt sie ebenfalls das Dom-Modell. Kennzeichen für Weiblichkeit sind zum einen die Schnürung des Gewandes, die deutlich höher ist als bei der Figur Heinrichs. Dadurch werden sowohl die deutlich erkennbaren Brüste betont als auch der irritierend rund erscheinende Bauch, auf dem sich eine kleine Figur zu befinden scheint. Irritierend aus dem Grunde, weil Kunigunde und Heinrich zeitlebens kinderlos blieben, diese Darstellung aber an Darstellungen der schwangeren Maria erinnert, die kleine Figur das noch ungeborene Kind symbolisierend. Oder ist es nur ein Band ihres Mantels? Das himmlische Blau, die blaue Farbe des Gewandes ist Zeichen für die 'heiligste' Weiblichkeit, typisch für Darstellungen der Mutter Maria, die fast immer in blauem Gewand erscheint.

 

 

 

Betonung des Körpers - Figurenhierarchie

Zum einen arbeitet der Künstler mit den Mitteln der Sichtbarmachung des Körpers, der nur an ganz spezifischen Stellen - Brust, Bauch und Hals bei der Frau, Bart und Füße beim Mann - überhaupt als solcher erkennbar ist. Der Körper rückt nur da in den Blickpunkt, wo 'Mann' und 'Frau' unterschieden wird.

Zum anderen wird durch die Haltung der Figuren eine zumindest ansatzweise Hierarchie sichtbar: Während Heinrich frontal blickt, die versinnbildlichte Finanzkraft in Händen hält und zur rechten, bevorzugten Seite des Domes steht, blickt Kunigunde von der linken Seite in Richtung ihres Mannes. Dadurch, dass Heinrich und Kunigunde beide den Dom halten und somit die Funktion als Stifter und Herrscher gleichrangig erfüllen, werden die Geschlechtskörper nur durch Haltung, Kleidung und 'Sichtbarmachung' sekundärer Geschlechtsmerkmale lesbar.

Maria Bauch


Weiterführende Literatur:

Junghans, Martina / Schurr, Eva (Hg.): Kostbares aus den Sammlungen des Historischen Museums Bamberg. Bamberg: Museen der Stadt Bamberg 2001 (= Schriften der Museen der Stadt Bamberg 44), S. 36f.

Klauser, Renate: Heinrichs- und Kunigundenkult. Bamberg: St. Otto-Verlag 1957 (= Festgabe aus Anlaß des Jubiläums „950 Jahre Bistum Bamberg 1007-1957).

Zinner, Ernst: Aus der Frühzeit der Räderuhr. Von der Gewichtsuhr zur Federzugsuhr. München: Oldenbourg 1954 (= Abhandlungen und Berichte / Deutsches Museum 22,3).

Zinner Ernst: Feinmechanische Geräte, Meisterwerke der Renaissancezeit. Ihr Ursprung und ihre Verbreitung. Berlin: VDI 1943 (= Abhandlungen und Berichte / Deutsches Museum 15,1).