Interpretation des Objektes
Website: | Virtueller Campus: eLearning-System der Otto-Friedrich-Universität Bamberg |
Kurs: | Rivalisierende Männlichkeiten |
Buch: | Interpretation des Objektes |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Donnerstag, 21. November 2024, 20:53 |
Beschreibung
In diesem Buch wird die Räderuhr aus dem 16. Jahrhundert vorgestellt. Eine Einteilung in Zonen ermöglicht die Beschreibung des Objektes in mehreren Abschnitten.
1. Das Kunstobjekt - Allgemeine Information
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Die Räderuhr
Räderuhr, 16. Jahrhundert, Holz und Metall, Andreas Utzmüller zugeschrieben, 67 x 33 x 28,5 cm, Inv.-nr. 12/13 (Historisches Museum Bamberg).
Bei dem Objekt handelt es sich um eine Räderuhr aus dem späten 16. Jahrhundert, die dem Bamberger Handwerker Andreas Utzmüller zugeschrieben ist.
Sowohl Gehäuse als auch Räderwerk bestehen aus Holz, die restlichen Gewichte, Glocken, Zugdrähte und Zeiger aus Metall.
Die Uhr ist 67 cm hoch, 33 cm und 28,5 cm tief.
Sie befindet sich seit dem Jahr 1938 im Historischen Museum Bamberg und wurde im Kunsthandel erworben.
Die hölzerne Räderuhr ist vermutlich das älteste erhaltene Exemplar dieser Art.
Mechanische Zeitmesser dieser Art wurden erfunden, um den Tag unabhängig von der Beobachtung der Gestirne in kleinere Zeiteinheiten einteilen zu können.
Eingesetzt wurden solche mechanischen Zeitmesser z.B. im Kloster zur pünktlichen Erinnerung an liturgische Gebetseinheiten oder als Weckinstrument für Turmwächter.
Uhren wie die vorliegende mit reichlicher Ausstattung an Schmuck, Dekor und Figurenarsenal dienten häufig als Schmuck in repäsentativen Wohnräumen wie Empfangszimmern oder Ratssälen von wohlhabenden Machthabern oder Adeligen. |
2. Grobeinteilung
Obere Zone Die Grobeinteilung der Uhr ist zweiteilig: Zum einen der obere Teil, bestehend aus einem Gehäuse, welches mit einem dachähnlichen Überbau versehen ist. An den beiden Seiten des Quaders befinden sich wiederum bildliche Darstellungen, diesmal ohne plastische Elemente. Vor dem Quader befindet sich eine Figurenzone, im Gehäuse ein Figurenumgang. Der Bau schließt mit zwei Glocken, sowie einem Putto, der am oberen Ende sitzt und 'Herr' der kleineren, vorderen Glocke ist, die er mit einem kleinen Klöppel anschlägt. Zur vollen Stunde ertönt die hintere Glocke. |
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Gesims Zwischen den beiden Hauptzonen befindet sich ein schraffiertes Gesims, in welchem eine kleine Einlassung das 'Tor' für die Begegung von Gut und Böse öffnet: Jeweils zur zwölften Stunde erscheint ein durch die Koppelung mit der Unruhe des Uhrwerks in Bewegung versetztes Figurenpaar, bestehend aus Engel mit Schwert und dazugehörigem Teufelchen, welches vom Engel bekämpft wird. |
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Untere Zone
Zum anderen die untere quaderförmige Zone, die an drei Seiten mit unterschiedlichen, reliefartigen Darstellungen geschmückt ist. |
3. Untere Zone
Frontalansicht, untere Zone
Die Front wird von zwei Säulen und dem sich dazwischen befindlichen Zifferblatt dominiert. Die beiden Säulen, die das Ziffernblatt flankieren, beherbergen auf ihren Kapitellen zwei Heilige, vermutlich die zwei Patrone des Bamberger Domes, Petrus und Georg. Die rechteckige Frontzone wird von einem mit ornamentalen Auslassungen verzierten Rahmen abgeschlossen. Dieser die Bildzonen rahmende Aufbau setzt sich auf den beiden anderen Seiten fort. |
Die reliefartigen Darstellungen zeigen, dass die Räderuhr nicht nur als rein weltlicher Zeitmesser fungieren sollte, sondern durch die Ausschmückung und das Bildprogramm noch einen kirchlichen bzw. transzendentalen Bezug herstellen will: Die Darstellungen geben auf diesem weltlichen Stundenanzeiger den Ablauf des Kirchenjahres wieder, indem sie typisierte Darstellungen wichtiger Feste im Programm des Kirchenjahres zeigen: Auf der Frontseite über dem Zifferblatt die Geburt Jesu, unter dem Zifferblatt den Betlehemitischen Kindermord, auf der linken Seite die Verkündigung Mariä, auf der rechten Seite die Auferstehung Jesu:
4. Obere Zone
Das in der unteren Zone angelegte Bildprogramm wird nun in der oberen Zone mit Heinrich und Kunigundes Heiligenvita verknüpft, indem direkt oberhalb Mariä Verkündigung eine Szene aus Kunigundes Heiligenvita, die Pflugscharprobe, gesetzt ist. Oberhalb der Auferstehung Jesu befindet sich eine Szene aus der zu Heinrich gehörigen Heiligenvita. Diese Gleichsetzung des heiliggesprochenen Herrscherpaares mit Jesus und Maria, die sowohl durch das Bildprogramm als auch durch die Anordnung desselben vonstatten geht, kann als künstlerische Verankerung von Kaiser und Kaiserin, von Stifter und Stifterin im Transzendenten gelesen werden: |
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Neben diesen Szenen aus den Heiligenviten Heinrichs und Kunigundes auf den beiden Seiten des oberen Gehäuses findet sich das eigentliche Hauptstück der gesamten Räderuhr vor dem Gehäuse. Es zeigt geschnitzte und bemalte Holzfiguren von Heinrich und Kunigunde, die vor dem Gehäuse stehen. Sie präsentieren zusammen ein Modell des Bamberger Domes über dem Aposteleingang, der sich im Gehäuse befindet. Das Modell des Domes verbindet die beiden Figuren und schafft gewissermaßen einen Rahmen und eine Art 'Schutzdach' für die Apostel. Die Figuren Heinrichs und Kunigundes sind ungefähr gleich groß. |
5. Interpretation des Dargestellten
Das heilige Herrscherpaar wacht über dem Ablauf des Kirchenjahres und bietet mit dem Bamberger Dom ein 'Dach' für die Apostel. Auch das Herrscherverständnis, die Vorstellung Heinrichs als einen servus apostolorum, einen Diener der Apostel und somit einem vicarius christi, einem Ersatzmann Christi´ wird hier wiedergegeben. Interessant ist, dass die Frau Kunigunde direkt in diese Aufgabe mit einbezogen ist, indem sie das Kirchenmodell zu gleichen Teilen 'mitträgt' und somit nicht mehr nur consors regni, eine Teilhabe an der Herrschaft des Mannes hat, sondern ihren Mann in seiner Aufgabe als Diener der Kirche ebenbürtig unterstützt. Sie präsentiert nicht wie üblich einen Sohn, einen Nachkommen und Erben des Reiches, was auf die Kinderlosigkeit des Paares zurückgeht. Die Stiftung des Bistums Bamberg und der Bau des Domes werden häufig infolge der Kanonisation als Ersatz der Nachkommenschaft durch die Einsetzung Christi als Erben interpretiert, weswegen der Dom im Bildprogramm der Kunst meist eine große Rolle spielt. |
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Die Uhr verbindet somit mehrere Zeitebenen innerhalb dieses künstlich geschaffenen Raumes: Zum einen die 'Realzeit', die chronologisch messbare Uhr- und, in größeren Verhältnissen, Kalenderzeit. Zum anderen die Zeit innerhalb des Kirchenjahres, die spezifische Zeitmessung der Gläubigen, die sich über die rein weltliche Zeitmessung hinaus mit dem Transzendentalen verbindet. Des Weiteren werden Heinrich und Kunigunde in ihrer Funktion als Heilige eingesetzt, um als Vermittler zwischen irdischer und himmlischer Zeit, zwischen Erde und Himmel, zu agieren.
Heinrich wird hier somit vor allem als Heiliger präsentiert, auf dessen reale Stifter- und somit Herrschertätigigkeit durch die Präsentation des Dommodelles aber zurückverwiesen wird. Dieser Rückverweis auf das reale Herrschertum Heinrichs lokalisiert dessen Wirkmacht vor allem im Bistum Bamberg, weswegen die Entstehung des Kunstwerkes in Bamberg zu vermuten ist. |
6. Die wechselseitige Konstruktion von Geschlecht im Objekt
Mann rechts, Frau links, Dom in der Mitte: Bei den beiden Figuren der Räderuhr konstruiert sich Geschlecht vor allem durch Unterschiede in der Anordnung, der Kleidung und der Haltung von Heinrich und Kunigunde. Geschlecht wird somit 'im Vergleich', in der Gegenüberstellung von männlich und weiblich konnotierten Merkmalen konstruiert. Hierarchische Unterschiede werden durch das Halten des Domes jedoch fast gänzlich negiert. Im Folgenden wird kurz skizziert, wie der Künstler die Dimensionen 'Männlichkeit' – 'Weiblichkeit' herstellt. |
Heinrich Die Figur zur rechten Seite des Aposteleinganges erscheint als aufrecht stehende, schlanke und hoch gewachsene Gestalt. Sie ist mit Krone, Herrscherornat und Geldsack in der Rechten und dem Dom-Modell in der Linken dargestellt. Zudem trägt sie einen langen Bart. Durch eine leicht schräge Haltung tritt rechts der Fuß aus dem Herrschergewand hervor. Der Gesichtsausdruck der Figur ist ernst, sie schaut den Betrachter frontal an. Sowohl Bart, Geldsack als auch die Stellung auf der 'bevorzugten' rechten Seite weisen auf eine durch diese sichtbaren Attribute gestaltete Männlichkeit hin. Der Bart erscheint zudem als Zeichen des Alters und der wîsheit, Heinrich erscheint nicht als junger, fruchtbarer Mann, sondern als gewachsener, alter und väterlicher Herrscher. Der Mantel verleiht zusätzliche Fülle und ist neben Krone und dem Finanzkraft bzw. Stiftertätigkeit symbolisierenden Geldsack wichtigstes Insigne der Herrschaft. Der sichtbare Fuß kann als Zeichen des männlichen sex interpretiert werden.
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Kunigunde Die Figur zur linken Seite erscheint mit schmalem, fließendem Gewand in blauer Farbe und trägt ebenfalls einen Herrschermantel und eine Krone. Die Haare sind nach oben gesteckt, der schmale Hals ist deutlich sichtbar. Mit ernstem, aber freundlichem Gesichtsausdruck blickt sie die männlich gestaltete Figur an. In ihrer Rechten trägt sie ebenfalls das Dom-Modell. Kennzeichen für Weiblichkeit sind zum einen die Schnürung des Gewandes, die deutlich höher ist als bei der Figur Heinrichs. Dadurch werden sowohl die deutlich erkennbaren Brüste betont als auch der irritierend rund erscheinende Bauch, auf dem sich eine kleine Figur zu befinden scheint. Irritierend aus dem Grunde, weil Kunigunde und Heinrich zeitlebens kinderlos blieben, diese Darstellung aber an Darstellungen der schwangeren Maria erinnert, die kleine Figur das noch ungeborene Kind symbolisierend. Oder ist es nur ein Band ihres Mantels? Das himmlische Blau, die blaue Farbe des Gewandes ist Zeichen für die 'heiligste' Weiblichkeit, typisch für Darstellungen der Mutter Maria, die fast immer in blauem Gewand erscheint.
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Betonung des Körpers - Figurenhierarchie Zum einen arbeitet der Künstler mit den Mitteln der Sichtbarmachung des Körpers, der nur an ganz spezifischen Stellen - Brust, Bauch und Hals bei der Frau, Bart und Füße beim Mann - überhaupt als solcher erkennbar ist. Der Körper rückt nur da in den Blickpunkt, wo 'Mann' und 'Frau' unterschieden wird. Zum anderen wird durch die Haltung der Figuren eine zumindest ansatzweise Hierarchie sichtbar: Während Heinrich frontal blickt, die versinnbildlichte Finanzkraft in Händen hält und zur rechten, bevorzugten Seite des Domes steht, blickt Kunigunde von der linken Seite in Richtung ihres Mannes. Dadurch, dass Heinrich und Kunigunde beide den Dom halten und somit die Funktion als Stifter und Herrscher gleichrangig erfüllen, werden die Geschlechtskörper nur durch Haltung, Kleidung und 'Sichtbarmachung' sekundärer Geschlechtsmerkmale lesbar. |
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Weiterführende Literatur:
Junghans, Martina / Schurr, Eva (Hg.): Kostbares aus den Sammlungen des Historischen Museums Bamberg. Bamberg: Museen der Stadt Bamberg 2001 (= Schriften der Museen der Stadt Bamberg 44), S. 36f.
Klauser, Renate: Heinrichs- und Kunigundenkult. Bamberg: St. Otto-Verlag 1957 (= Festgabe aus Anlaß des Jubiläums „950 Jahre Bistum Bamberg 1007-1957).
Zinner, Ernst: Aus der Frühzeit der Räderuhr. Von der Gewichtsuhr zur Federzugsuhr. München: Oldenbourg 1954 (= Abhandlungen und Berichte / Deutsches Museum 22,3).
Zinner Ernst: Feinmechanische Geräte, Meisterwerke der Renaissancezeit. Ihr Ursprung und ihre Verbreitung. Berlin: VDI 1943 (= Abhandlungen und Berichte / Deutsches Museum 15,1).