1. Problem

1.4. Operatoren

Ein Operator ist eine theoretische Handlungsoption, die in der gegebenen Situation besteht. So können Sie, um vom Bahnhof zur Uni zu gelangen, den Bus oder ein Taxi nehmen, Laufen, mit dem Rad fahren usw. Davon zu unterscheiden sind Operationen, unter denen die konkrete Ausführung von Operatoren zu verstehen sind. 

Es lassen sich folgende Eigenschaften von Operatoren unterscheiden:

    • Wirkungsbreite
    • Wirkungssicherheit
    • Anwendungsbereich
    • Reversibilität
    • materielle und zeitliche „Kosten“


1.4.1 Wirkungsbreite

Ein Operator hat eine größere Wirkungsbreite als ein anderer, wenn er – direkt oder indirekt - auf mehr Einflussgrößen der Situation verändernd einwirkt. Man kann also – in Anlehnung an eine medizinische Terminologie – von Breitband- und Schmalbandoperatoren reden. 

Die Wirkungsbreite eines Operators ist nicht unabhängig von den Eigenschaften der Problemsituation zu sehen. Wie oben erwähnt, definieren die direkten und indirekten Auswirkungen die Wirkungsbreite eines Operators. Dadurch bedingt sich, dass in hoch vernetzten Situationen fast alle Operatoren die Qualität eines Breitbandoperators haben. 

Breitbandoperatoren setzen also – direkt oder indirekt - an mehreren Einflussfaktoren an und bewirken dementsprechend „viel“. Allerdings sind sie dadurch auch schwieriger vorher zu planen und zu kontrollieren. Operatoren mit hoher Wirkungsbreite haben meist Neben- und Fernwirkungen, die eventuell nicht erwünscht sind. 

Schmalbandoperatoren sind einfacher zu planen und besser zu kontrollieren, da sie nur an einzelnen oder wenigen Einflussfaktoren ansetzen. Sie bewirken dadurch aber meist auch weniger.

Beispiel B.01.09: Wirkungsbreite. Erkältungsmedikament

Die Einnahme eines kombinierten Erkältungsmedikamentes ist die Realisation eines Breitbandoperators. Ein Schnupfenspray hat dagegen weniger Wirkungsbreite.

Zwei schneidende Kreise: 1. (Wirkung Erkältungsmedikament) & 2. (Wirkung Schnupfenspray); Schnittmenge "Schnupfen"
Abb. A.01.05: Wirkungsbreite Erkältungsmittel

Breitbandoperator: Die Einnahme eines kombinierten Erkältungspräparates kann Müdigkeit und sogar Fahruntüchtigkeit mit sich bringen. Wollte die kranke Person sich durch die Einnahme der Medizin für den kommenden Arbeitstag „fit“ machen, so werden diese Nebenwirkungen nicht unbedingt erwünscht sein. Schmalbandoperator: Die Einnahme eines Schnupfensprays ist wahrscheinlich durch geringere Nebenwirkungen ausgezeichnet. Nur leider werden die anderen Auswirkungen einer Erkältung damit nicht gelindert. 

Grundsätzlich gilt also, dass Breitbandoperatoren mehr bewirken, aber schwerer zu kalkulieren sind. 


1.4.2 Wirkungssicherheit

Operatoren können mehr oder weniger wirkungssicher sein. Dies hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der ein Operator eine bestimmte Situation in eine andere umwandeln kann. So dürften viele alltägliche Operationen eine hohe Wirkungssicherheit haben. 

Leider haben viele Operatoren in komplexen Problemsituationen nicht diese hohe Wirksicherheit. Ob die Einnahme eines Medikamentes zu gewünschten Effekten führt, ist schon keineswegs mehr so sicher. Und ob die in einem Unternehmen eingeführte Erhöhung der Überstunden tatsächlich auch wie angedacht die Produktivität steigert, ist noch unsicherer. Generell gilt, dass die Wirkungssicherheit von Operatoren vor allem in vernetzten und intransparenten Situationen geringer ist. Dies bedingt, dass die Planung von Eingriffen hier breiter sein muss, da man sich nicht nur auf einen geplanten Effekt einstellen muss, sondern auf mehrere mögliche Optionen. Unsere unternehmerisch tätige Person muss damit rechnen, dass seine Maßnahme vielleicht eine Zunahme der Produktivität bewirkt, aber eben vielleicht auch eine Abnahme. Und er sollte auch auf beide Alternativen vorbereitet sein. 

Beispiel B.01.10: Kaffeetasse

Dass man morgens mit einem Handgriff die Kaffeetasse ergreifen kann und sie nicht dabei vom Tisch auf den Boden befördert, dürfte – zumindest in den meisten Fällen – von Erfolg gekrönt sein.

Diese Handlung hat eine hohe Wirkungssicherheit, da man es die meiste Zeit schafft die Tasse sicher zu greifen, zum Mund zu führen und daraus zu trinken ohne unangenehme Konsequenzen fürchten zu müssen.


1.4.3 Anwendungsbereich

Ein Operator hat einen hohen Anwendungsbereich, wenn seine Realisation an wenige oder keine Bedingungen geknüpft ist. Im Gegensatz zur Wirkungsbreite geht es also hier nicht um die Auswirkungen des Operators, sondern um seine Voraussetzungen. Es ist für die problemlösende Person natürlich einfacher, wenn er Operatoren mit hohen Anwendungsbereichen hat, da sich diese fast immer anwenden lassen. Sind nur Operatoren mit geringem Anwendungsbereich vorhanden, so muss man sehr genau planen. Meist muss man erst die Bedingungen für die Anwendung schaffen, man muss Zwischenziele bilden. 

Beispiel B.01.11: Anwendungsbereich „Erhöhung der Überstunden“

Aufgrund der kurzfristig angestiegenen Bestellungen überlegt die Unternehmensleitung die Kapazitäten durch die Erhöhung der Überstunden zu kompensieren. Um dies umsetzen zu können, muss 1. der Betriebsrat die Maßnahme billigen und 2. das Unternehmen über die nötigen Mittel zur Finanzierung der zusätzlichen Arbeitszeit verfügen.

Um den Bestellungen nachzukommen, wird der Operator „Erhöhung der Überstunden“ gewählt. Um diesen anwenden zu können, sind wiederum zwei Zwischenziele notwendig:

  • die Schaffung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat
  • ein Gespräch mit der Hausbank über einen kurzfristigen Kredit

Erst das Erreichen der beiden Zwischenziele schafft die Voraussetzung für die Anwendung des Operators „Erhöhung der Überstunden“!Ein Operator „Erhöhung der Überstunden“ hat einen höheren Anwendungsbereich als z.B. die Erhöhung von Lagerkapazitäten, da er an weniger Bedingungen gebunden ist. Es wird kein Bauunternehmen für die Errichtung einer Lagerhalle benötigt, es muss auch kein zusätzliches Personal eingestellt und eingearbeitet werden.


1.4.4 Reversibilität

Operatoren können mehr oder weniger irreversibel sein. Ein Operator hätte dann eine hohe Reversibilität, wenn man seine Effekte direkt oder indirekt wieder aufheben kann (und wenn dies ohne hohe zeitliche und materielle Kosten möglich ist).

Eine vollständige Reversibilität von Operatoren findet man heutzutage in Computerspielen und -simulationen. Wer hätte nicht schon vor einer riskanten Entscheidung das Spiel einfach gespeichert, um es nach einem Misserfolg wieder neu aufzurufen und eine andere Entscheidung zu treffen? Wenn in einer Problemsituation viele Operatoren mit hoher Reversibilität vorhanden sind, ist ein hohes Maß an spielerischem Probierverhalten möglich. Grundsätzlich sind Spiele oder spielerisches Training durch eine solche Situation gekennzeichnet. Man kann so tun, als ob, etwas ausprobieren, reines Versuchs-Irrtums-Verhalten an den Tag legen usw. Es ist keine langwierige Vorausplanung nötig, man muss sich nicht im Voraus auf eine geplante Strategie festlegen, da man sich ohne große materielle und zeitliche Kosten wieder in den ursprünglichen Ausgangszustand versetzen kann. 

Wie man unschwer feststellen kann, sind solche Situationen fast nur in Planspielen und Simulationen anzutreffen. In den tatsächlichen komplexen Problemsituationen sind vollkommen reversible Operatoren eher unwahrscheinlich. Dagegen ist die Menge der vollständig irreversiblen Maßnahmen sehr groß. Welcher Operator im Beispiel einer unternehmerisch tätigen Person ist ohne materiellen und vor allem ohne zeitlichen Verlust vollständig wieder rückgängig zu machen? Wohl kaum einer! 

Je höher die Irreversibilität der Operatoren in einer bestimmten Situation ist, desto stärker verbietet sich natürlich ein einfaches Austesten von Maßnahmen auf ihre Brauchbarkeit (etwa nach dem Motto „Das haben wir noch nicht ausprobiert!“).

Beispiel B.01.12: Reversibilität der Kapazitätssteigerung

Um den im Beispiel B.01.11 beschriebenen Anstieg an Bestellungen zu bewältigen, muss neben den Überstunden auch über eine Steigerung der Lagerkapazitäten nachgedacht werden. Da das bestehende Lager bereits voll ausgelastet ist, müsste ein neues Gebäude neben dem bestehenden gebaut werden.

Die „Erhöhung der Überstunden“ ist dabei ein Operator, der eine relativ hohe Reversibilität aufweist. Die Anordnung der Überstunden kann wieder zurückgenommen und die angefallenen Stunden abgefeiert werden. Dadurch entsteht für das Unternehmen nur ein geringer finanzieller Aufwand und danach befindet es sich vermutlich in einen sehr ähnlichen Zustand wie vor dem Einsatz des Operators. Dahingegen ist die „Erhöhung der Lagerkapazität“ ein Operator, der eine sehr geringe Reversibilität aufweist. Durch den Neubau eines Lagers fallen auch in Zukunft Kosten für Instandhaltung des Gebäudes und für Energie (Licht, Heizung) an, auch wenn es nicht genutzt wird. Zudem müssen die Kosten für den Neubau noch länger getragen und unter Umständen ein Kredit abgezahlt werden, dessen Tilgung auch wieder erst erwirtschaftet werden muss.


1.4.5 Materielle und zeitliche „Kosten“

Jede angewandte Operation kostet einen bestimmten Aufwand. Sie verbraucht Ressourcen und Zeit. Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass diese beiden Kostenfaktoren oft gerade gegenläufig sind. In vielen Fällen sind die Operatoren, die nach relativ kurzer Zeit den erwarteten und gewünschten Effekt bewirken, auch die ressourcenaufwendigsten Alternativen. Auf der anderen Seite können auch „billige“ Operatoren zum gewünschten Erfolg führen, allerdings meist mit einer bestimmten zeitlichen Verzögerung. Hier ist also eine Kosten-Nutzen-Kalkulation für die einzelnen Operatoren nötig, die allerdings die Gegebenheiten der jeweiligen Problemstellung in Rechnung stellen sollte. Haben wir es mit einer Situation zu tun, die durch eine hohe Eigendynamik gekennzeichnet ist und damit durch Zeitdruck, muss diese Kalkulation in einer anderen Weise geschehen, als wenn dies nicht der Fall ist.

Beispiel B.01.13: Ressource vs. Zeit: Frühbucherrabatt bei der Bahn

Sie wollen innerhalb der nächsten Wochen (von Bamberg) nach Berlin fahren. Sie entscheiden sich, der Umwelt zuliebe, mit der Bahn zu fahren und müssen nun überlegen, wann sie fahren. Eine kurze Internetrecherche ergab unter anderem folgende Optionen (bei heutiger Buchung):

  1. Sie fahren gleich am nächsten Tag um 6:22 Uhr los, sind um 9:30 in Berlin und bezahlen dafür 69,90 EUR.
  2. Sie fahren erst in zwei Monaten (gleicher Wochentag, gleiche Abfahrts- und Ankunftszeit) und zahlen nur 27,90 EUR. 

Hier sieht man deutlich, dass einzig der Zeitpunkt, an welchem Sie fahren in Relation zum Buchungstag einen Unterschied im Ressourceneinsatz (Geld) von ca. 60% ausmachen kann. Denn alle anderen Faktoren, wie z.B. Start-/Endpunkt, Uhrzeiten für Abfahrt und Ankunft, gefahrene Strecke, und sogar der eingesetzte ICE sind identisch. Allerdings geht diese Einsparung an der Ressource „Geld“ auf Kosten der Ressource „Flexibilität“ bzw. „Buchungszeitpunkt“, da sie sich bereits auf einen Reisezeitpunkt in zwei Monaten festlegen müssen.