3. Führung

3.3. Situative Führungstheorien


Nachdem bisher Führungstheorien im Mittelpunkt standen, die sich schwerpunktmäßig auf die Person des Führenden, auf seine Eigenschaften und auf sein Verhalten konzentrierten, soll in diesem Kapitel die wichtigste situative Führungstheorie in ihren Kernpunkten referiert werden.

Die Kontingenztheorie der Führung von Fiedler (1967) kann als „situativer“ Wendepunkt innerhalb der Geschichte der Führungstheorien angesehen werden. Fiedler geht davon aus, dass Führungserfolg abhängig ist von zwei interagierenden Faktoren. Dies ist zum einen das Ausmaß an Kontrolle über den Arbeitsprozess und das Arbeitsergebnis („situative Kontrolle“), das einem Führer zur Verfügung steht und zum anderen die zeitlich überdauernde aufgabenorientierte oder mitarbeiterorientierte Motivation des Führers („Führungsstil“). Die situative Kontrolle kann nach Fiedler aufgrund von drei kritischen Dimensionen eingeordnet werden:

  • Führer–Geführten–Beziehungen: Die Unterstützung des Führers durch die Gruppe; die persönlichen Beziehungen des Führers zu seinen Gruppenmitgliedern
  • Aufgabenstruktur: Das Ausmaß, in dem die Aufgabe klar definiert ist, die Ziele verdeutlicht sind und der Weg zur Zielerreichung festgelegt ist
  • Positionsmacht: Die legale Macht des Führers, Gruppenmitglieder belohnen oder bestrafen zu können

Aufgrund der Ausprägung auf diesen Dimensionen ergeben sich Situationen von geringer bis hoher „situativer Günstigkeit“. Die Aufgaben- oder Beziehungsorientierung des Führers operationalisiert Fiedler durch die „Least–Prefered–Coworker“ Skala (LPC). Anhand einer Skala von 18 bipolaren Items (z.B. streitsüchtig – ausgleichend; widerlich – nett) sollen Führer denjenigen Mitarbeiter einschätzen, mit dem sie in der Vergangenheit oder der Gegenwart am wenigsten gerne zusammengearbeitet haben bzw. zusammenarbeiten. Diese Einschätzungen werden zu einem LPC–Wert des Führers aufsummiert. Ein Führer mit einem hohen LPC–Wert beschreibt auch den am wenigsten geschätzten Mitarbeiter mit positiven Eigenschaftsausprägungen, während ein Führer mit niedrigen LPC– Wert ihn durch sehr negativen und zurückweisenden Bezeichnungen beschreibt. Für Fiedler bedeutet ein hoher LPC–Wert den Führungsstil der Personenorientierung und ein niedriger Wert bedeutet Aufgabenorientierung.

Da der situative Ansatz davon ausgeht, dass es nicht einen guten oder erfolgreichen Führungsstil gibt, untersuchte Fiedler, wie die Günstigkeit einer Situation und der praktizierte Führungsstil interagieren. Nach seinen Ergebnissen sind in extrem günstigen und in extrem ungünstigen Situationen aufgabenorientierte Führer erfolgreicher, in Situationen mittlerer Günstigkeit personenorientierte Führer.

In neueren Untersuchungen konnten als eine dritte Kategorie Personen mit einem mittleren LPC–Wert ermittelt werden. Diese Personen, die einen „sozial – unabhängigen“ Führungsstil haben, zeigen scheinbar die besten „Führungs“- Leistungen in Situationen von hoher Günstigkeit. Sie sind dagegen in Situationen von geringer Günstigkeit „relativ schwach“ (Fiedler et al., 1995)

Fiedler selbst räumt ein, dass weitere Forschungsanstrengungen notwendig sein werden, um ein klareres Profil dieser „mittleren LPC–Personen“ zu ermitteln. Fazit des Modells ist, dass nicht ein Führungsstil per se besser ist, sondern dass Führungseffektivität gleichermaßen durch Führungsstil und durch die Situation bedingt wird. Aus dieser Aussage lassen sich praktische Empfehlungen für die Steigerung der Effektivität ableiten, auf die hier nicht dezidiert eingegangen werden kann.

Fiedler`s Ansatz führte zu einer Flut von Untersuchungen. Fiedler (1995) selbst zählt über 400 publizierte Artikel und Bücher. Nach seinen Angaben ist es das am meisten zitierte Modell der Führung in den Jahren zwischen 1967 und 1980 und die am besten validierte Führungstheorie.

Die Kritikpunkte an der Kontingenztheorie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Die Operationalisierung der Variable Führungsstil durch die LPC-Skala ist unbefriedigend. 
  • Die Auswahl, Operationalisierung und Rangordnung der Situationsvariablen „Führer- Geführten-Beziehung“, „Aufgabenstruktur“ und „Positionsmacht“ erscheint willkürlich. Zwischen diesen als unabhängig postulierten Variablen bestehen höchstwahrscheinlich korrelative Beziehungen.
  • Die Betonung der Kriteriumsvariable „Leistung“ verkürzt die komplexen Zusammenhänge innerhalb des Führungsprozesses und der jeweiligen Organisation.

Neuere Ansätze von Fiedler verwenden die Prinzipien der Kontingenztheorie zur Entwicklung einer Theorie der „kognitiven Ressourcen“.