Einstieg in komplexes Problemlösen in Gruppen
Was ist überhaupt ein Team? Wie unterscheidet es sich von einer Gruppe? Und welche nützlichen und gefährlichen Effekte können wir beobachten, wenn Menschen zusammen Probleme lösen. Mit Anwendungsbeispielen aus den Bereichen Führung, Team und Beratung illustrieren wir diese Konzepte.
2. Team
2.11. Eigengruppe und Fremdgruppe
Egal, ob die Gruppenbezeichnung im Einzelfall laut der Definition von Gruppe „korrekt“ ist oder nicht, wir teilen Menschen (aber natürlich auch Tiere, Dinge,...) nach bestimmten Kriterien in Gruppen ein (z.B. Schauspieler, Reiche, die eigene Abteilung).
Gruppen denen man sich nach diesen Kriterien selbst zurechnet werden als Eigengruppe (in group) bezeichnet. Personen, die nicht in diese Gruppe fallen, gehören für uns zur Fremdgruppe (out group). Z.B. könnten die Kollegen der eigenen Abteilung die Eigengruppe, Kollegen aus einer anderen Abteilung, die Fremdgruppe sein, je nach den angelegten Kriterien. Bereits diese Gruppenzuordnung kann unser Verhalten schon nachhaltig beeinflussen.
Eigen- oder Fremdgruppe - ein großer Unterschied für unser Verhalten
Identifiziert man sich mit einer Gruppe, bewirkt das, dass wir ihr und ihren Mitgliedern positive Gefühle entgegenbringen, denn schließlich sind wir ja ein Teil von ihr. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe hat zudem einen positiven Effekt auf unser Selbstwertgefühl, wenn man davon überzeugt ist, dass sie in irgendeiner Weise besser ist, als andere Gruppen. Die Konsequenz ist, dass man sich auch Fremdgruppen gegenüber so verhält. Man will überlegen sein und tut dafür vieles: Man behandelt deren Mitglieder unfair, abschätzig oder wird sogar gewalttätig. Gelingt es einem selbst oder anderen Angehörigen der eigenen Gruppe durch solche Aktionen die Vormachtstellung zu demonstrieren, steigert das zum einen den Selbstwert - man fühlt sich besser, weil man es den anderen gezeigt hat - zum anderen fühlt man sich der Gruppe noch enger verbunden.
Beispiel B.02.10: Fußballweltmeisterschaft
Einige Gruppierungen unter den Anhängern europäischer Fußballclubs bezeichnen sich selbst als die „echten“ Fans des „einzig wahren“ Vereins. Diese in nahezu allen europäischen Stadien anzutreffenden Gruppierungen sorgen häufig für Aggressionen zwischen ihnen und den Anhängern der gegnerischen Mannschaften. Deren Fans werden mit Hohngesängen empfangen, ihre Fankleidung wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, gestohlen, es werden Schlägereien angezettelt. Selbst wenn der Verein einmal nicht gewinnt, so tragen diese „Fans“ für ihn den Sieg davon. Das gleiche gilt übrigens auch für Nationalmannschaften.
Und auch wenn man kein großer Fußballfan ist, kann es einen packen. WM 2014. Austragungsort: Brasilien. Spätestens als die deutsche Mannschaft im Halbfinale Brasilien 7:1 besiegte, waren wir in Fußballdeutschland. Die Straßen waren voller feiernder Menschen mit aufgemalten Deutschland-Fahnen im Gesicht, viele sogar im Deutschland Trikot, die Autos voll mit Deutschland-Fahnen oder Deutschland- Spiegelüberzügen, das Spiel Gesprächsthema Nr. 1.
Durch den Erfolg der deutschen Mannschaft konnte man sich selbst stolz fühlen. Und letztendlich war das Gefühl, dass nicht die Mannschaft das Spiel gewonnen hatte, sondern die ganze Nation fühlte sich als Sieger und „wurde Eins mit der Mannschaft“.
Dieses Phänomen tritt aber nicht nur auf, wenn wir uns selbst einer Gruppe (wie z.B. einem Fußballverein) angehörig fühlen, sondern auch wenn wir nach willkürlichen Kriterien einer Gruppe zugeteilt werden, in der wir die anderen Teilnehmer vorher noch nicht kannten oder sogar überhaupt keinen Kontakt zu ihnen haben werden.
Beispiel B.02.11 Minimalgruppenexperimente von Tajfel
In dem klassischen Experiment, dass Tajfel et al. 1971 durchgeführt hat, wurden die Versuchspersonen zunächst aufgefordert abstrakte Gemälde zu bewerten. Ihnen wurde im Anschluss mitgeteilt, dass sie auf Basis der Ergebnisse der Kunstbefragung in zwei Gruppen, die entweder eine Präferenz für den Maler Klee oder Kandinsky zeigten, eingeteilt worden sind. Im zweiten Teil des Experiments sollten die Versuchspersonen Geldbeträge an andere Versuchspersonen verteilen, die sie während des gesamten Versuchs nicht zu sehen bekamen. Die Teilnehmenden erhielten nur die Information, ob die Versuchsperson der Klee- oder Kandinsky Gruppe angehört. Es zeigte sich ziemlich schnell eine systematische Abweichung bei der Verteilung der Gelder. Diese viel bei allen Teilnehmenden zugunsten der Eigengruppe aus (Eigengruppenbias). Für den zweiten Teil des Experiments wurden spezielle Matrizen entwickelt, die es ermöglichten, individuelle Distributionsstile der Versuchspersonen zu ermitteln. Mithilfe der Matrizen konnte festgestellt werden, dass die Teilnehmenden sogar lieber eine geringere Prämie in Kauf nahmen, wenn das bedeutete, dass die Fremdgruppe weniger bekam als die Eigengruppe (z.B. 3€ statt 5€ für eigene Gruppe, wenn die andere Gruppe statt 4€ dann nur 2€ erhielt).
Mithilfe des Paradigmas der minimalen Gruppen konnte gezeigt werden, dass bereits eine triviale Kategorisierung ausreichen kann, Verhalten auszulösen, das die Fremdgruppe benachteiligt und der eigenen Gruppe einen Vorteil verschafft. Angehörigen der eigenen Gruppe gegenüber wurde also ein Verhalten an den Tag gelegt, dass man sonst eigentlich bei guten Bekannten, Freunden oder der eigenen Familie - nicht aber gegenüber Fremden - zeigen würde.
(Petersen & Blank, 2008)
Video V.02.01: Das Minimalgruppen-Paradigma
(Erb & Balzukat, 2020)
Fremdgruppen – einer wie der andere!?!
Wie wir bisher gesehen haben, ist die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdgruppe in gewisser Weise verzerrt. Diese „Fehlwahrnehmung“ geht auch auf der Ebene der einzelnen Gruppenmitglieder weiter. Während die Mitglieder in der Eigengruppe durchaus als Menschen wahrgenommen werden, die (sehr) unterschiedlich in ihrem Verhalten, ihren Vorlieben... sind, werden die Angehörigen der Fremdgruppe bezüglich ihrer Eigenschaften etc. gerne in einen Topf geworfen (z.B. alte Leute hören am liebsten Volksmusik). Der Fachausdruck dafür heißt Fremdgruppenhomogenität. Mitglieder anderer Gruppen werden also von uns als homogener (ähnlicher) angesehen, als sie es in Wirklichkeit sind. Wir haben von ihnen ein gewisses Stereotyp, „eine verallgemeinernde Annahme über eine Gruppe von Menschen, die praktisch all ihren Mitgliedern, unabhängig von tatsächlichen Unterschieden zwischen ihnen, dieselben charakteristischen Merkmale zuschreibt“ (Aronson et al. 2014 08, S. 476).
Warum tun wir das? Es ist ganz normal, dass wir unsere Umwelt in bestimmte Schubladen stecken, also Kategorien bilden. Jeder von uns hat ein genaues Bild von einem Frisör, einem Anwalt, einem Lehrer usw. Diese Art des Denkens macht uns das Leben leichter. Wir nutzen Erfahrungen, die wir gemacht haben und müssen dadurch nicht jedes Mal wieder alle Informationen neu prüfen.
Eine weitere Verzerrung der Wahrnehmung ist der fundamentale Attributionsfehler, der auftritt, wenn wir die Ursache für ein Verhalten suchen.
Beispiel B.02.12: Beim Haareschneiden
Überlegen Sie einmal, wie anstrengend und zeitraubend es wäre, vor einem Friseur/ einer Friseurin zu stehen und überlegen zu müssen, was genau dieser Mensch vor einem für eine Funktion erfüllt, ob er/ sie eventuell Autos repariert, Obst oder Flugtickets verkauft oder den viel zu lang gewordenen Haaren einen neuen Schnitt verpasst.
Ohne Kontext, also zusätzliche Informationen, sind wir da aufgeschmissen, oder? Wir wissen aus Erfahrung, dass ein Mensch, der in einem Laden steht, auf dessen Schild "Friseursalon" steht, die Haare schneidet, föhnt und färbt und daher wohl ein Friseur/ eine Friseurin sein muss. Wir schreiben, aufgrund der Situation (Friseursalon, Kleidung, „Werkzeug“, etc.) und unserer Erfahrung dieser Person die Eigenschaft zu, Friseur:in zu sein.