1. Gruppen

1.1. Rollen


In einer Gruppe hat nicht jedes Gruppenmitglied die gleiche Position, sondern nimmt eine bestimmte soziale Rolle ein. „Während Normen Regeln angeben, die für alle Gruppenmitglieder gelten, definieren Rollen, wie sich Personen, die innerhalb der Gruppe bestimmte Positionen einnehmen, zu verhalten haben. … Wie soziale Normen können auch Rollen sehr hilfreich sein, weil man weiß, was man voneinander zu erwarten hat“ (Aronson et al., 2014, S. 312). Vom Oberhaupt einer Gruppe wird z.B. erwartet, dass es wichtige Entscheidungen trifft, das weitere Vorgehen vorgibt, den Gruppenmitgliedern Aufgaben zuweist, als Ansprechpartner bei Problemen dient etc.

Eine Rolle einzunehmen bietet deshalb für das Individuum durchaus Vorteile. Zum einen gibt sie demjenigen, der sie einnimmt, bereits Anhaltspunkte, wie er sich verhalten sollte, zum anderen wissen die anderen Personen, was sie von dieser Person zu erwarten haben, was ihnen den Umgang mit ihr erleichtert. Natürlich können solche Erwartungen aber auch Schwierigkeiten mit sich bringen. Werden sie nämlich nicht erfüllt, fällt also die Person aus Sicht anderer aus ihrer Rolle, hat das Konsequenzen. Verhält sich z.B. der Chef nicht wie oben genannt, sondern wirkt unsicher, fragt immer die anderen nach dem besten Vorgehen oder lässt jeden tun was er möchte, wird er seine Position über kurz oder lang verlieren, verliert die Achtung, Respekt und Rückhalt der Gruppenmitglieder und muss eventuell sogar die Gruppe verlassen.

Ein weiteres Problem ist, dass Rollenerwartungen z.T. sehr stark in der Gesellschaft verankert sind, und es schwer ist, gegen sie anzukämpfen, auch wenn Sie nicht mehr wirklich zeitgemäß sind. Ein Beispiel hierfür sind die Rollenbilder von Mann und Frau. In vielen Ländern gilt auch heute noch, dass allein die Frauen für Haushalt und Kindererziehung zuständig sind, während der Mann arbeitet und damit seine Familie ernährt. Außerdem besteht die Gefahr, dass man sich zu sehr mit seiner Rolle identifiziert und Dinge tut, die man normalerweise nicht tun würde. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Rolle einen gewissen Machtspielraum beinhaltet, wie das berühmte „Stanford Prison-Experiment“ zeigt.

Beispiel B.02.01: Das Standford Prison-Experiment

Das Stanford-Prison-Experiment ist ein sehr bekanntes sozialpsychologisches Experiment, mit dem der Einfluss sozialer Rollen auf das Verhalten von Versuchspersonen untersucht wurde. Hierzu wurde eine Gruppe Studenten, die sich freiwillig als Versuchspersonen gemeldet hatten, zufällig in Wärter und Häftlinge eingeteilt und sollten zwei Wochen lang ihre jeweiligen Rollen in einem simulierten Gefängnis spielen. Die Studie musste jedoch bereits nach sechs Tagen abgebrochen werden, da das Verhalten der „Wärter“ gegenüber den „Häftlingen“ aus dem Ruder lief und ein Teil der „Gefangenen“ daraufhin anfing, psychische Auffälligkeiten zu zeigen.

Das Experiment war von Anfang an so angelegt, dass die Mitwirkenden möglichst tief in ihre Rollen eintauchen konnten. So wurden die „Gefangenen“ durch echte Polizisten in der Öffentlichkeit verhaftet, abgeführt und eingesperrt. Die Wärter hatten ihre Rolle, inklusive der Macht, die mit der Rolle einherging so verinnerlicht, dass sie sich auch verhielten als hätten sie die „absolute“ Macht über die Häftlinge, die für sie nur noch Nummern (keine Namen) waren. Aber auch die „Häftlinge“ übernahmen Ihre Rollen und zettelten am zweiten Tag einen Aufstand an. Dies führte dann zur Eskalation des Verhaltens der Wärter und zu Demütigungen der Häftlinge, bis hin zu sadistischem Verhalten. Nach sechs Tagen wurde dann das Experiment vorzeitig abgebrochen (geplant waren 14 Tage), u.a. auch, weil die Versuchsleiter feststellten, dass sie nicht mehr objektiv waren, aktiv eingriffen und gegen die Gefangenen agierten. Man kann also sagen, alle Parteien haben Ihre zugewiesenen Rollen „zu gut“ eingenommen.

Der bekannte Film „Das Experiment“ aus dem Jahr 2001 zeigt mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle eine Adaption des Stanford Prison-Experiments in einer deutschen Universität. Zu dem katastrophalen Ende, das im Film gezeigt wurde, kam es im realen Experiment jedoch nicht, weshalb Philip Zimbardo, der Leiter des „echten“ Experiments, erfolgreich gegen den im Film enthaltenen Hinweis „Nach einer wahren Begebenheit“ klagte.

(„Stanford Prison-Experiment“, 2022)