Fedor Dostoevskijs Idiot (1869), der zweite seiner fünf großen Romane, gehört zu den Höhepunkten seines Werkes und der Epoche des russischen Realismus. Fürst Lev Nikolaevič Myškin – der „Idiot“ – ist eine der faszinierendsten (Anti-)Helden der Weltliteratur. Der an Epilepsie leidende Myškin kehrt von einer jahrelangen Behandlung in der Schweiz nach Russland zurück und bringt mit seinem liebenden, scheinbar naiven Wesen die Gesellschaft durcheinander. Dostoevskij wollte in der Figur einen „positiv schönen Menschen“ (položitel′no prekrasnyj čelovek) darstellen. Was heißt das? Was bedeutet die von Myškin vage geäußerte Idee, dass nur „die Schönheit die Welt erretten“ könne (mir spasët krasota)? Ist der Idiot einе moderne Christusfigur, ein transformierter ‚Gottesnarr‘ (jurodivyj) – oder doch ein gar nicht so untypischer Mensch des 19. Jahrhunderts? Und wie sind seine unvermittelten polemischen Ausfälle gegen den Westen, zumal gegen die katholische Kirche, zu verstehen?
In dem Seminar wollen wir zunächst Aspekte des historischen, literaturgeschichtlichen und biographischen Kontexts von Dostoevskijs Text behandeln. Im Zentrum stehen anschließend Fragen der Poetik (Komposition, Erzähler, Raum- und Zeitbehandlung, Figurenzeichnung, ironischer Stil) und Probleme der Interpretation (Gesellschaft, Liebe, Religion, Staat, Geld). Mit der intermedialen Dimension des Romans (Kalligraphie, Malerei, Photographie) werden wir uns ebenso befassen wie mit einigen der zahlreichen, oft internationalen und interkulturellen Verfilmungen u.a. von Petr Čerdynin (1910, Russland), Akira Kurosawa (1951, Japan), Andrzej Żuławski (1985, Frankreich), Andrzej Wajda (1994, Polen/Japan) oder Vladimir Bortko (Russland, 2003).
Siehe auch das Seminar „Theorien des realistischen Romans in Mittel- und Osteuropa und ihre Rezeption im Westen“.
- Moderator/in: Eugeniya Ershova
- Moderator/in: Christian Zehnder