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Das Interesse europäischer Künstler:innen an außereuropäischen Kulturen und Kunstwerken ist seit dem 18. Jahrhundert hinlänglich bekannt. Das Sammeln von Chinoiserien im 18. Jahrhundert, die Orientalismus-Mode oder der Japonismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und sein Einfluss auf die impressionistische Malerei oder den Art Deco Stil sind prominente Beispiele für die Rezeption und Faszination an den fremden Kulturen. In der Moderne des 20. Jahrhunderts verlagert sich das Interesse an den außereuropäischen Kulturen von den Hochkulturen zu den so genannten „primitiven Kulturen“, wobei der Begriff ‚Primitivismus‘ – damals wie heute – eine negative, herabsetzende und diskriminierende Konnotation hat bzw. – wie Hal Foster es ausdrückte – „eine (Fehl)Konstruktion des Fremden“ repräsentiert. Die künstlerische Avantgarde hat dagegen in dem Begriff des Primitiven – auch aus Provokation gegen die bürgerliche Kultur – fast ausschließlich etwas Positives gesehen. Die europäischen Künstler:innen sahen z.B. in den entdeckten vorzeitlichen Felsenbildern oder in den afrikanischen, ozeanischen oder indigenen Kulturen den Ursprung oder zumindest einen Weg zum Ursprung der Kunst, der für ihr eigenes Werk als Inspiration für den Anfang einer neuen (zukünftigen) Kunst gedeutet wurde. Hier zeigt sich das Grundmuster des Neoprimitivismus „zwischen dem Vorgestern und dem Übermorgen, dem uralten und total Neuen, der Archaisierung und der Innovation“ (Hansen-Löve). Die Künstler:innen, von denen einige sich selbst als primitiv bezeichneten, faszinierte an den so genannten „primitiven Kulturen“ das Archaische, das mit Authentizität, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit assoziiert wurde, sowie die Unmittelbarkeit des Ausdrucks und die Einfachheit der künstlerischen Ausdrucksform.

Wir werden uns im Seminar zunächst mit der Explikation und Geschichte des Begriffs und mit den soziokulturellen und ästhetischen Grundlagen des ‚Primitivismus‘ bzw. ‚Neoprimitivismus‘ beschäftigen, wobei sowohl Fragen nach dem Verstehen fremder Kulturen als auch Probleme des Kulturtransfers und der interkulturellen Aneignung und Differenzierung außereuropäischer Kulturen behandelt werden sollen. Der Neoprimitivismus ist ein gesamteuropäisches Phänomen und auch nicht auf eine einzelne künstlerische Gattung beschränkt. Im Mittelpunkt des Seminars werden daher zum einen sowohl west- wie auch osteuropäische Formen neoprimitivistischer Kunst stehen, die wir hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede miteinander vergleichen wollen. Zum anderen werden wir Beispiele sowohl aus den Bild- wie auch aus den Wortkünsten behandeln. Wir werden im Seminar kulturelle und künstlerische Praktiken untersuchen, die von den vorzeitlichen Felsbildern und außereuropäischen Kulturen über Dada und Surrealismus bis hin zu Graffiti, Performance Art und anderen gegenwärtigen künstlerischen Ausdrucksformen reichen. Der Begriff des (Neo-)Primitivismus hat sich im Verlaufe der Zeit gewandelt und es wird dabei nicht nur das künstlerische Interesse an den archaischen und ursprünglichen kulturellen Praktiken und Artefakten außereuropäischer Kulturen verstanden, sondern auch der allgemeine Bezug auf das Phänomen der Volkstümlichkeit (Folklore), das Interesse an infantilen Zeichnungen oder die Faszination an der so genannten ‚Kunst von psychisch Erkrankten‘. Auch diese Phänomene bzw. ästhetischen Bezugnahmen werden wir anhand ausgewählter Beispiele des poetischen Primitivismus und der neoprimitivistischen Bildkunst des 20. Jahrhunderts behandeln.
Semester: 2023/24 Wintersemester
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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