Kitsch begegnet uns im Alltag in Form von Glücksbringern, Andenken, Fanartikeln und anderen Nippsachen. Viele dieser Dinge haben keinen praktischen Nutzen. Im Unterschied zu Meret Oppenheims Felltasse sind sie zudem weder sonderlich originell noch ästhetisch richtungsweisend. Im Gegenteil: Das Erfolgsrezept von Kitsch setzt ganz auf den Wiedererkennungswert vertrauter gefühlsbetonter Inhalte (Klischees) und altbewährter Darstellungsformen (z.B. Kindchenschema). Als Synonym für „geschmacklosen Massenschund“ (Pazaurek, 1912, S. 349) gibt uns Kitsch also ein Rätsel auf: Warum erfreuen sich Wackeldackel, Winkekatzen und andere weitgehend zweckfreie, ästhetisch wertlose Staubfänger derart großer Beliebtheit? Es ist dies nur einer von vielen Widersprüchen, die den Kitschdiskurs des 20. Jahrhunderts prägen. Lassen sie sich auf der Basis soziologischer Theorien und kognitionspsychologischer Modelle auflösen? Ist der Gegensatz von Kitsch und Kunst, von Alltagskultur und Avantgarde, das Produkt sozialer Ungleichheit in modernen Massengesellschaften oder kommt darin ein universeller Zug menschlicher Informationsverarbeitung zum Ausdruck? Hat das unstillbare Verlangen nach Kitsch wie der Heißhunger nach Fast Food eine evolutionäre Basis? Gibt es demnach prämoderne Vorläufer? Und wenn ja, wie sah dieser „Protokitsch“ wohl aus?

Anhand von ausgewählten Texten und Theorien wollen wir uns dem Kitsch von verschiedenen Seiten nähern bevor wir uns die Frage stellen, ob der Kitschbegriff heute noch zeitgemäß und eine Unterscheidung von Kitsch und Kunst überhaupt noch möglich ist. Schließlich ist die selbstironische Referenz auf Kitschelemente längst zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel geworden. Und: Welche Bedeutung hat Kitsch im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit und künstlicher Intelligenz? Kann ein Algorithmus, der aus einem Fundus von Memes und Stockfotos schöpft, überhaupt etwas anderes produzieren als Kitsch? Was unterscheidet den computergenerierten Bildsalat eines DALL-E vom „Traumkitsch“ (Benjamin, 1927) der Surrealisten? Hilft uns die Kitschkontroverse der europäischen Moderne aktuelle Entwicklungen besser zu verstehen oder verstellt sie unseren Blick auf popkulturelle Phänomene nicht-westlicher Prägung wie die japanische Kawaii-Kultur?

Semester: 2023/24 Wintersemester