Sollten wir (Populär-)Kultur als einen Herrschaftsraum betrachten, der die bestehenden sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten – den Status quo – systematisch bestärkt? Oder ist sie doch vielmehr ein Motor für Veränderungen? Tragen audiovisuelle und soziale Medien zu einer politischen und intellektuellen Passivität, einer ideologischen (Ver-)Formung der Konsument/innen und einer ganzen Gesellschaft bei? Oder können wir uns getrost als ein Publikum verstehen, das den Kulturprodukten und deren Absichten mit kritischem Reflexionsvermögen und bedachter Mediennutzung trotzt? Sind Kunst und Kultur im Spätkapitalismus zu bloßen Waren verdammt oder können sie vom Konsumwahn unabhängige Inhalte kommunizieren? Derart zugespitzte Fragen bewegen sich zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite steht die nun mehr über 70 Jahre alte Kulturindustriekritik Theodor W. Adornos – einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts, neben Max Horkheimer Begründer der Frankfurter Schule und unfreiwilliger geistiger Vater der 68er-Bewegung. Auf der anderen Seite liegen argumentative Gegenentwürfe aus der Wiege der Cultural Studies, wie sie von John Fiske oder Stuart Hall rund dreißig Jahre später formuliert werden.

In diesem Spannungsfeld möchte das Seminar ein grundlegendes kritisches Verständnis der zentralen Thesen der Kulturindustriekritik Adornos und deren philosophischen Kontext vermitteln, sie an unterschiedlichen Medien betrachten und anhand ausgewählter Werke diskutieren: Welchen Zweck erfüllen audiovisuelle Medien nach Adorno tatsächlich und potenziell in der Gesellschaft? Wie lassen sich Filmwerke aus dem klassischen Hollywood- und dem europäischen Arthouse-Kino mit Adorno gegenüberstellen? Woher rührt seine radikale Kritik am Jazz und der Popmusik – und hält sie der Musikgeschichte, beispielsweise hinsichtlich der Bürgerrechtsbewegung, stand? An diesen und weiteren Fragen prüfen wir nicht nur gängige Vorwürfe an Adorno, dessen Kritik häufig als einseitig, pessimistisch und/oder elitär verschrien wird. Weiträumig diskutiert werden soll vor allem auch die Aktualität der Kritischen Theorie: Wie lässt sich mit Adornos Fernsehkritik über Struktur und Inhalte von Netflix nachdenken? Oder wie steht es zu Zeiten von Donald Trump um die Rolle der sozialen Medien im politischen Raum, als Kanäle für Fake News und Rechtspopulismus?

Das Seminar findet virtuell 14-tägig synchron, darüber hinaus asynchron statt.

Anschaffungsempfehlung:

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug (Was bedeutet das alles?), hrsg. von Ralf Kellermann, Stuttgart 2015.

Unter anderem behandeln und diskutieren werden wir:

Serien:
DER BACHELOR
ORANGE IS THE NEW BLACK

Filme:
GONE WITH THE WIND (Victor Fleming, 1939)
BONNIE AND CLYDE (Arthur Penn, 1967)
QUEEN & SLIM (Melina Matsoukas, 2019)
ALICE IN DEN STÄDTEN (Wim Wenders, 1974)

Musik:
„Strange fruit“ (Billie Holiday)
„Mississippi Goddamn“ (Nina Simone)
„Sweet Black Angel“ (The Rolling Stones)
Semester: 2020/21 Wintersemester