In extremen Kontaktsituationen können unter bestimmten Bedingungen neue Sprachen entstehen. Mit den zwei wichtigsten Typen beschäftigen wir uns in diesem Seminar: Pidgin- und Kreolsprachen. Es handelt sich dabei um teils noch sehr junge, in einem Klima sozialer Ungleichheit entstandene, stigmatisierte Varietäten. Ihre Genese steht in engem Zusammenhang mit unvollständigem, meist erwachsenem L2-Erwerb. Viele dieser Varietäten entstanden im Kontakt zwischen den Sprachen europäischer Kolonialmächte und indigenen Sprachen in kolonialisierten Gebieten. So auch zwei deutschbasierte Vertreter: Das pidginisierte Küchendeutsch in Namibia (Black Namibian German) und die Kreolsprache Unserdeutsch in Papua-Neuguinea (Rabaul Creole German).

Wir werden im Seminar zunächst der umstrittenen Frage nachgehen, wie und warum überhaupt sich Pidgin- und Kreolsprachen herausbilden, was sie allgemein charakterisiert und welchen Status sie heute in der Welt einnehmen. Anschließend kontrastieren wir verschiedene Pidgins und Kreols strukturell miteinander, darunter primär auch die beiden genannten deutschbasierten Vertreter: Inwiefern weisen sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihren Sprachsystemen auf? Wir betrachten dabei vor allem phonologische Merkmale (bspw. Lautinventar, Silbenstruktur), morphologische Merkmale (bspw. Kategorien und deren Markierung) und syntaktische Merkmale (Stellungsregularitäten). Die dahinterstehende Frage, ob Pidgin- und Kreolsprachen eine eigene typologische Klasse bilden, inwieweit es universale Pidgin- bzw. Kreolmerkmale gibt, wird in der Forschung hochkontrovers diskutiert. Hier geht es auch um die Frage, inwiefern die provokativ zugespitzte Hypothese zutrifft, diese Sprachen verfügten über „die einfachsten Grammatiken der Welt“.

Der Forschungsdiskurs zu Pidgin- und Kreolsprachen ist stark internationalisiert. Eine umfassende State-of-the-art-Einführung bietet Velupillai, Viveka (2015): Pidgins, Creoles and Mixed Languages. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins. Damit wir auch Belege uns selbst ganz unbekannter Varietäten strukturell interpretieren können, erfolgt im Kurs nebenbei eine Kurzeinführung in die Interlinearglossierung, eine linguistische Methode der Morphem-für-Morphem-Übersetzung von Sprachdaten.
Semester: 2020/21 Wintersemester