"Absolut modern sein". Maschinendenken, Maschinenästhetik, Maschinenkunst in West- und Osteuropa

Die These, dass der Mensch eine Maschine ist, war im 18. Jahrhundert noch lebensgefährlich und ihre Verbreitung wurde mit der Todesstrafe bedroht. Dies musste zumindest der Philosoph und Arzt Julien Offray de La Mettrie erfahren, als er sein Buch L’Homme Machine (Mensch Maschine, 1748) veröffentlichte. Mit der Aufklärung und der zunehmenden Industrialisierung gewann das propagierte materialistisch-mechanistische Menschenbild – zumeist verbunden mit der (atheistischen) Leugnung einer existenten Seele und gestützt durch die modernen Naturwissenschaften – jedoch zunehmende Akzeptanz. Die These von der materiellen psychophysischen Einheit des lebendigen Menschen richtet sich gegen jede Form eines theologischen Spiritualismus und gegen die idealistischen Spielarten eines Leib-Seele-Dualismus. Es ist der Beginn des so genannten Ersten Maschinenzeitalters, das sowohl neue – von der Maschine und dem Maschinendenken bestimmte – Lebens- und Arbeitsformen als auch neue künstlerische Ausdrucksformen und Auseinandersetzungen mit der Ästhetik der Maschine hervorbringt. Der Höhepunkt scheint bereits mit der avantgardistischen These – „…auch wir Maschinen, auch wir mechanisiert“ – Anfang des 20. Jahrhunderts erreicht zu sein, aber die Angleichung und Durchdringung von Mensch und Maschine, die Mensch-Maschine-Symbiose, ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen, wenn man z.B. an die aktuellen Entwicklungen virtueller Realitäten oder so genannter Künstlicher Intelligenzen denkt.

Im Seminar wollen wir uns zunächst mit dem philosophischen Maschinendenken und der Ästhetik der Maschine beschäftigen und uns z.B. mit Fragen auseinandersetzen, was es überhaupt bedeutet, den Menschen als eine Maschine zu denken, wie Maschinen unseren Alltag, unsere Arbeit und Umwelt beeinflussen oder wie unsere raum-zeitliche Wahrnehmung vom Gebrauch der Maschinen und technischen Medien (z.B. Verkehr und Information) beeinflusst wird. Der Schwerpunkt des Seminars wird im Bereich der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Maschine, der Maschinenkunst und der Kunstmaschinen liegen. Die Bildenden Künste und das Theater konkurrieren zunächst mit den ‚Maschinenkünsten‘ Fotografie und Film, reflektieren in ihren Werken jedoch auch die anthropologische Bedeutung der Maschine, indem z.B. der Mensch als bloß funktionierender psycho-physischer Apparat, als Automat oder mechanische Puppe dargestellt wird. Die besondere Bedeutung der Maschine ist ein globales Phänomen der Kultur und Kunst – dies wurde schon bei der ersten internationalen Ausstellung Machine Art 1934 im Museum of Modern Art in New York deutlich – und wir werden deshalb Beispiele sowohl aus der west- wie osteuropäischen modernen und avantgardistischen Kunst ausführlicher betrachten und miteinander vergleichen.

Die Maschine ist in der modernen Kultur und Kunst allgegenwärtig, schafft neue intermediale Kunst- und Ausdrucksformen und generiert sogar neue künstlerische Gattungen, angefangen mit der Fotografie und dem Film im 19. Jahrhundert, die sich allerdings erst im 20. Jahrhundert zu Kunstformen etablierten. Die Maschine bzw. der Fotoapparat und der Cinematograph diskreditieren die Fotografie und den Film, echte Kunstformen sein zu können, da sie, wie Walter Benjamin in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ausgeführt hat – zu „einem Verlust der Aura“ führen. Wir werden anhand ausgewählter fotografischer (u.a. Krull, Rodčenko) und filmischer Beispiele (z.B. Vertov) die Bedeutung und die Darstellung der Maschine in den technischen Medien behandeln und daneben auch einige neue intermediale künstlerische Ausdrucksformen, die auf einer Maschinenästhetik gründen, betrachten, z.B. das mechanische Ballett oder andere mechanische Bewegungsformen.

Auch in der modernen funktionalistischen Architektur steht das Maschinendenken im Zentrum, da – wie bereits Le Corbusier proklamierte – „das Haus eine Maschine zum Wohnen ist“. Die Maschine steht in der Architektur für Rationalität und Ordnung und insbesondere für die Dominanz der Funktion vor der Form (form follows function). Wir werden neben Beispielen von Le Corbusier oder dem Bauhaus Formen polnischer, tschechischer und sowjetrussischer Architektur analysieren, z.B. die funktionale Stadt Zlín oder Černichovs Maschinen- und Architekturphantasien. Die Schweizer Architektengruppe ABC hatte sogar die ‚Diktatur der Maschine‘ gefordert, was u.a. die Frage aufwirft, welche Wirkungen die ‚Wohnmaschinen‘ für die Lebensformen der Menschen und ihr Miteinander eigentlich haben.
In der Geschichte der Musik haben die Maschinen das Klangspektrum zunächst erweitert und zur Maschinenmusik und zur modernen Klangkunst im 20. Jahrhundert geführt. Wir werden im Seminar zumindest einige Formen der maschinellen Klangkunst (u.a. von Russolo, Skrjabin, Antheil, Hindemith, Baku-Stadtkonzert) hören und besprechen. Abhängig von den Interessen der Seminarteilnehmer:innen können zusätzlich auch neuere Formen der elektronischen Maschinenmusik behandelt werden.

Literatur zur Einführung in das Thema:
Banham, Reyner: Theory and Design in the First Machine Age. London 1960. (Dt.: Die Revolution der Architektur. Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter. Reinbek 1964).
Broeckmann, Andreas: Machine Art in the Twentieth Century. Cambridge (Mass.) 2016.
Burckhardt, Martin: Philosophie der Maschine. Berlin 2018.
Olmo, Carlo/de Magistris, Alessandro (Hg.): Černichov, Jakov. Sowjetischer Architekt der Avantgarde. Stuttgart 1995.
Hollein, Max et al. (Hg.): Kunstmaschinen Maschinenkunst / Art Machines Machine Art. Heidelberg o.J.
Hultén, Pontus (Hg.): The Machine. As seen at the end of the mechanical age. New York 1968.
Johnson, Philip (Hg.): Machine Art. March 6 to April 30, 1934. New York, The Museum of Modern Art. Reprint des Katalogs, New York, Harry N. Abrams 1994.
Kolboom, Ingo/Krause, Joachim/Neyer, Hans-Joachim (Hg.): absolut modern sein. Culture technique in Frankreich 1889-1937. Berlin 1986.
Marshall, Jennifer Jane: Machine Art 1934. Chicago 2012.
Rauterberg, Hanno: Die Kunst der Zukunft. Über den Traum von der kreativen Maschine. Frankfurt/M. 2021.
Sutter, Alex: Göttliche Maschinen. Die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, La Mettrie und Kant. Frankfurt/M. 1988.
Semester: 2023 Sommersemester
"Der Schlaf der Vernunft". Traumbilder und Traumdiskurse in der Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts

Im Mittelpunkt des Seminars stehen die künstlerischen Auseinandersetzungen und Visualisierungen des Traumes. Ausgehend von der Bedeutung des Traums in der Philosophie, die den Traum weniger als Thema, sondern vielmehr als Anlass nimmt, um über Grenzerfahrungen der Wirklichkeit, z.B. über den Unterschied von Wachbewusstsein und Traum, zu reflektieren, und ausgehend von den Traumdeutungen in der Psychologie bzw. Psychoanalyse, die bekanntlich mit den Arbeiten von Sigmund Freud in Verbindung stehen, sollen zunächst die Zusammenhänge von wissenschaftlichem Traumdiskurs und ästhetischem Traumbegriff untersucht und nachgezeichnet werden. Die Unterschiede zwischen Wachsein und Träumen, zwischen der Wirklichkeit und der Phantasie führen uns dabei zu verschiedenen Paradoxien, wie z.B. zu der Realität des Irrealen, da es ja gerade die Träume sind, die uns daran erinnern, dass das Irreale auch real sein kann.

Ausgehend von diesen Formen und Grundlagen des Traumwissens soll zunächst anhand einiger klassischer Traumbilder und graphischer Serien (z.B. Piranesis imaginäre Kerkerdarstellungen, Goyas Capriccos oder Füsslis Nachtmahr) diskutiert werden, wie in der Bildenden Kunst und insbesondere in der künstlerischen Moderne (von der Romantik bis zum Symbolismus) Träume visualisiert und gedeutet wurden. Im Anschluss daran wenden wir uns den Traumdiskursen, Traumtexten und Traumbildern des Surrealismus in Paris und Prag zu. Der Surrealismus verankert den Traum in einer besonderen Weise in seiner Programmatik und Ästhetik und bringt in einer beeindruckenden Vielzahl und Variabilität verbale wie visuelle Traumaufzeichnungen hervor. Die Traumprotokolle stehen am Anfang der surrealistischen Bewegung und die Traumbilder von Max Ernst und Salvador Dalí sowie die wohl kalkulierten irrealen Traumbilder im Werk von René Magritte haben den Surrealismus berühmt gemacht. Darüber hinaus werden wir auch einige onirische Schreibweisen bzw. literarische Formen von Traumtexten des französischen (A. Breton, P. Éluard, R. Desnos) wie tschechischen Surrealismus (V. Nezval, J. Heisler) behandeln, wobei das Spektrum von Texten, die vorgeben (authentische) Traumberichte zu sein, vom so genannten „automatischen Schreiben“ (écriture automatique) bis hin zu dem Entwurf von Traumerzählungen reicht, die fiktionale Formen des Traumtextes repräsentieren. Paradigmatisch werden wir Jindřich Štyrskýs Träume (1925-1940) und seine Prosaerzählung Emilie kommt im Traum zu mir (1933) sowie die surrealistischen Traumbilder und visuellen Traumgeschichten z.B. von Max Ernst oder Toyen/Heisler behandeln und diskutieren. Das Beziehungsgeflecht von Traum, Erinnerung, Wiederholung und Variation spielt dabei ebenso eine Rolle wie spezifisch surrealistische Topoi der Kindheit, Sexualität oder Subjektkonstruktion

Abschließend werden wir uns mit dem fotografischen und filmischen Surrealismus beschäftigen. Gerade die Fotografie – eigentlich ein realistisches Medium – wurde von den Surrealisten als besonders geeignet betrachtet, um das „Unbewusste bewusst zu machen“. Man Rays Fotogramme oder Jaromír Funkes abstrakte Fotografien wurden als – wie Ribemont-Dessaignes sie nannte – „Traumbilder“ gedeutet, „wo die menschliche Phantasie freigelegt ist und märchenhafte Kluften überwindet“. Welche Bedeutung dem Traum im surrealistischen Film zukommt, werden wir anhand des surrealistischen Filmklassikers Un chien andalou (Ein andalusischer Hund, 1929) von L. Buñuel und S. Dalí behandeln. Auch im filmischen Werk des letzten noch lebenden großen Surrealisten, Jan Švankmajer, sind der Traum, die Imagination und die psychischen Grenzphänomene Hauptinspirationsquellen. Wir werden zum Abschluss des Seminars einige Beispiele aus Švankmajers Traum-Universum etwas genauer betrachten.

Ein ausführlicher Seminarplan mit den einzelnen Themen und weiteren Literaturempfehlungen wird in der ersten Sitzung verteilt. Ferner gibt es einen digitalen Handapparat, in dem einige Grundlagentexte und zu besprechende Bilder eingescannt sind. Besondere Sprachkenntnisse sind für die Teilnahme am Seminar nicht erforderlich. Gäste aus anderen Studiengängen sind nach Anmeldung willkommen.

Literatur zur Einführung in das Thema:
Alt, Peter-André: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. Darmstadt 2002.
Bergez, Daniel: Painting the Dream, from the Biblical Dream to Surrealism. New York 2018.
Bode, Ursula: Kunst zwischen Traum und Alptraum. Phantastische Malerei im 19. Jahrhundert. Braunschweig 1981.
Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt/M.1982. Studienausgabe Bd. II.
Goumegou, Susanne/Marie Guthmüller (Hg.): Traumwissen und Traumpoetik. Onirische Schreibweisen von der literarischen Moderne bis zur Gegenwart. Würzburg 2011.
Jaguer, Edouard: Surrealistische Fotografie. Zwischen Traum und Wirklichkeit. Köln 1984.
Lenk, Elisabeth: Die unbewußte Gesellschaft. Über die mimetische Grundstruktur in der Literatur und im Traum. München 1983.
Mertens, Wolfgang: Traum und Traumdeutung. München 1999.
Niessen, Stefan: Traum und Realität. Ihre neuzeitliche Trennung, Würzburg 1993.
Queipo, Isabel Maurer: „Dunkle Kontinente“ und onirische Schreibweisen. Bausteine für eine alternative Genealogie der Traumliteratur von Nodier bis Cixous, Berlin u.a. 2021.
Semester: 2023 Sommersemester
Einführung in die Slavische Kunst- und Kulturwissenschaft

Die Einführung in die Slavische Kunst- und Kulturwissenschaft ist eine auf zwei Semester angelegte Veranstaltung (Basismodul I und Basismuodul II), in der zum einen (im Einführungsseminar des SoSe) die theoretischen und methodischen Grundlagen und zum anderen (in der Vorlesung im WiSe) die historischen Positionen der Slavischen Kunstepochen und Ausdrucksformen osteuropäischer Kulturen dargestellt und behandelt werden.

Im diessemestrigen Einführungsseminar werden zunächst Grundbegriffe und Grundfragen der Slavischen Kunst- und Kulturwissenschaft vorgestellt und erörtert, wie z.B. Fragen, was Kunst überhaupt ist, wie sich Kunstwerke von bloßen realen Dingen unterscheiden oder Fragen der Interpretation von Bildern und anderer nichtsprachlicher künstlerischer Systeme. Ferner sollen sowohl unterschiedliche Aspekte des Kulturbegriffs, z.B. die Beziehungen von Kultur vs. Natur, Kultur vs. Zivilisation oder die Funktionen von Kultur, als auch kulturwissenschaftliche Konzepte wie z.B. cultural studies, Interkulturalität oder Erinnerungskulturen diskutiert werden. Im Mittelpunkt der Kunst- und Kulturtheorien stehen Positionen der Semiotik, des Formalismus und des Strukturalismus, in denen künstlerische Werke und Kulturen primär als Zeichensysteme verstanden werden. Im Anschluss an die Reflexion der theoretischen Zusammenhänge sollen schließlich die erworbenen methodischen Kenntnisse anhand ausgewählter Beispiele aus der Architektur, Malerei, Graphik, Fotografie und dem Film im Seminar gemeinsam eingeübt werden.

Ein Seminarplan mit den genauen Themen und weiteren Literaturempfehlungen wird in der ersten Sitzung ausgegeben.

Literatur zur Einführung in das Thema:
Assmann, Aleida: Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. Berlin 2008.
Belting, Hans u.a. (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung. Berlin 1988.
Csáky, Moritz/ Leitgelb, Christoph (Hg.): Kommunikation, Gedächtnis, Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“. Bielefeld 2009.
Fachschaft Kunstgeschichte München (Hg.): Kunstgeschichte – aber wie? Zehn Themen und Beispiele. Berlin 1989.
Frank, Susi K. (Hg.): Bildformeln. Visuelle Erinnerungskulturen in Osteuropa. Bielefeld 2018.
Held, Jutta/Schneider, Norbert: Grundzüge der Kunstwissenschaft. Gegenstandsbereiche. Institutionen. Problemfelder. Köln/Weimar/Wien 2007.
Jaeger, Friedrich u.a. (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. 3 Bde. Stuttgart 2011. Jakobson, Roman: Semiotik. Ausgewählte Texte 1919-1982. Frankfurt/M. 1988.
Lotman, Jurij M.: Kunst als Sprache. Untersuchungen zur Zeichenstruktur von Literatur und Kunst. Leipzig 1981.
Mukařovský, Jan: Kapitel aus der Ästhetik. Frankfurt/M. 1970.
Nünning, Ansgar u. Vera (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Stuttgart 2003.
Schmücker, Reinold: Was ist Kunst? Eine Grundlegung. München 1998.
Semester: 2023 Sommersemester
Oberseminar: Forschungskolloquium und Besprechung von Abschlussarbeiten

Im Rahmen des Oberseminars sollen in der Entstehung befindliche wissenschaftliche Studien- und Abschlussarbeiten gemeinsam diskutiert und besprochen werden. Es können sowohl Bachelor- und Masterstudierende als auch Doktorand:innen und Postdoktorand:innen der Slavischen Kunst- und Kulturwissenschaft ihre aktuellen Arbeiten vorstellen. Darüber hinaus bietet das Seminar einen Rahmen für die Auseinandersetzung mit methodologischen Fragen kunst- und kulturwissenschaftlichen Arbeitens sowie für die Diskussion von aktuellen slavistischen Forschungsthemen. Auch fortgeschrittene Studierende können bei Interesse und nach einem Vorgespräch an dem Oberseminar teilnehmen.
Eine persönliche Anmeldung per Mail an jeanette.fabian@uni-bamberg.de ist erwünscht.
Semester: 2023 Sommersemester