1. Kunst- und kulturgeschichtliche Hintergrundinformationen zu dem Objekt.

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Kurs: Rivalisierende Männlichkeiten
Buch: 1. Kunst- und kulturgeschichtliche Hintergrundinformationen zu dem Objekt.
Gedruckt von: Gast
Datum: Mittwoch, 1. Mai 2024, 01:57

Beschreibung

Die Darstellungen der nackten Männlichkeit in verschiedenen Epochen bilden eine vielfältige Körpergeschichte. Durch Antike, Mittelalter und Renaissance veränderte sich die Bedeutung der männlichen Blöße. Vor allem die renaissancistische Auseinandersetzung mit dem nackten Körper sowie mit den mythologischen Themen bei italienischen und deutschen Meistern ist für die Interpretation des vorliegenden Gemäldes von großer Bedeutung. 

1. Wahrnehmungs- und Deutungsgeschichte des nackten männlichen Körpers von der Antike bis zur Renaissance.

Einzentraler Anstoß für die Erforschung der Körpergeschichte wurde mit der Lehre der amerikanischen Philosophin Judith Buttler gemacht. Sie hat die in den Gender Studies grundlegende Dichotomie, dass „Gender“ ein sozial und kulturell konstruiertes Geschlecht ist und „Sex“ ein biologisches Geschlecht ist, bestritten. In ihren Werken Gender Trouble (1991) und Bodies that matter (1993) behauptet die Autorin, dass Sex (biologisches Geschlecht) auch diskursiv produziert werden kann. Die verschiedenen Darstellungs- und Interpretationsweisen der männlichen Nacktheit im Laufe der Kulturgeschichte bestätigen diese These. Wenn der weibliche Körper erotisch konnotiert wird, zeigt die männliche Körperlichkeit vielfältige Bedeutungen.


Weiterführende Literatur:

1. Schössler, Franziska: Einführung in die Gender Studies, Berlin 2008.

2. Villa, Paula-Irene: Judith Butler, Frankfurt am Main 2003.

3. Villa, Paula-Irene: Sexy Bodies, Wiesbaden 2011.


 

1.1. Antike

Polykletos DoryphorosDie Ästhetik des nackten Körpers war in der antiken Zeit mittels des männlichen nackten Körpers formiert. Prägend für die griechische Klassik waren die Skulpturen Polyklets, dessen Werke bereits in der Antike als Kanon der Kunst gelten.

Das rechte Maß, das in dieser Statue so vollkommen zum Ausdruck kommt, ist Grundprinzip klassisch griechischer Weltanschauung, der Philosophie, der Wissenschaft und der Medizin“.

Daniela Hammer-Tugendhaft

Der nackte männliche Körper steht in der Antike für die Autonomie, Besonnenheit, bürgerliche Freiheit und Zivilisation.


Weiterführende Literatur:

1.—Hammer-Tugendhaft, Daniela: Zur Semantik  männlicher Nacktheit und Sexualität. Ein Rückblick. In: Nackte Männer, Hg. v. Tobias. Natter. München 2012, S. 37-47.

2. Leopold, Elisabeth: Die Poesie des Körpers. Der nackte Mann in der Kunstgeschichte. In: Nackte Männer. Hg. v. Tobias Natter. München 2012, S. 17-27.

3.Schmale, Wolfgang: Nacktheit und männliche Identität. Verhandlungen im öffentlichen Raum. In: Nackte Männer,Hg. v. Tobias Natter. München 2012, S. 27-37.


 

Polyklet "Doryphoros"

1.2. Mittelalter

Christus als Schmerzensmann (um 1435) von Meister FranckDie Nacktheit im Mittelalter wurde entweder mit der Sündhaftigkeit oder mit dem Martyrium gleichgesetzt. Die Deutung der Blöße als Sündhaftigkeit wurde von der Bibelgeschichte über Adam und Eva geprägt. Nachdem Adam und Eva die verbotene Frucht ausgekostet hatten, haben sie ihre Nacktheit erkannt - Nacktheit symbolisiert deshalb die Erbsünde.

Laut anderer theologischen Perspektiven war der nackte Körper dem leidenden Christus sowie den Märtyrern vorbehalten. Der nackte Körper war der Ausdruck des Schmerzes und religiöser Frömmigkeit. Der leidende Körper Chrisi zeigt die Menschlichkeit des Sohn Gottes und dass Gott seinen Sohn wie einen Menschen leiden ließ.Unter den Märtyrern wurde vor allem der heilige Sebastian als nackter Jüngling, der an einem Baum gefesselt und mit Pfeilen durchbohrt ist,dargestellt.

Christus als Schmerzensmann (um 1435) von Meister Franck

 


Weiterführende Literatur:

1. Bennewitz, Ingrid: Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Laqueur. Münster 2002.

2. Karras, Ruth Mazo: Sexualität im Mittelalter. Düsseldorf 2006.

3. Rahner, Johanna: Ein nackter Gott. Theologische Perspektiven zur Nacktheit im Mittelalter. In:Und sie erkannten, dass sie nackt waren. Nacktheit im Mittelalter: Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hg. v. Stefan Biessenecker. Bamberg 2008, S. 173-185.

4. Sprague, Maurice: Erinnerungen an das Paradies, die Versuchung und den Sündenfall. In:Und sie erkannten, dass sie nackt waren. Nacktheit im Mittelalter ; Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hg. v. Stefan Biessenecker. Bamberg 2008, S.67-89.


 

 

1.3. Renaissance

Durch die Werke der italienischen Meister Michelangelo, Donattelo und Raffaello da Montelupo wurde in der Renaissance der nackte Körper wieder entdeckt. Laut Wolfgang Schmale war die Renaissance „die Hoch-Zeit der Definition männlicher Identität in der Phase der Konzipierung des „neuen Adam“.

Grundlegend für die weitere Behandlung des nackten Körpers in der Öffentlichkeit und Kunst war folgendes:

a) Der männliche Körper wurde zum Ausdrucksmedium der männlichen Identität. So versucht Michelangelo, durch seine Davidskulptur, ideale Männlichkeit zu darzustellen.

b) Der nackte Körper wird zum Erforschungsobjekt. Albrecht Dürers Selbstporträt als Akt (1500-1512) zeigt das Interesse für den eigenen Körper und die Bestrebung seiner realitätstreuen Abbildung. Zudem werden sowohl die mythischen Helden als auch die Heiligen mit realen menschlichen Körpern dargestellt. So waren Michelangelos (Christo della Minerva, 1519-1521) und Cellinis (Kruzifix el Escorial, 1556-1562) Christusskulpturen ursprünglich vollständig unbekleidet

c) Die nackte Männlichkeit manifestiert sich im öffentlichen Raum. Auf den Stadtplätzen und bei Königshöfen werden Skulpturen der nackten mythischen Helden aufgestellt (Piazza della Signoria in italienischem Florenz);


Weiterführende Literatur:

1.—Dittmann, Lorenz: Die Wiederkehr antiker Götter im Bilde. Padeborn 2001.

2. Leopold, Elisabeth: Die Poesie des Körpers. Der nackte Mann in der Kunstgeschichte. In: Nackte Männer. Hg. v. Tobias Natter. München 2012, S. 17-27.

3. Larsson, Lars Olof: Antike Mythen in der Kunst. Stuttgart 2009.

4. Schmale, Wolfgang: Nacktheit und männliche Identität. Verhandlungen im öffentlichen Raum. In: Nackte Männer. Hg. v. Tobias Natter. München 2012, S. 27-37.


 

2. Dionysos

DionysosDionysos ist der jüngste Sohn des Zeus, auch Zagros oder Bakchos genannt. Dionysos Mutter, die sterbliche Semele, traf die Rache der Hera. Diese überredete Semele, Zeus in seiner ganzen göttlichen Pracht zu empfangen. Semele aber verbrannte im Blitzstrahl von Zeus. Zeus fand das Kind in der Asche, trug es noch 6 Monate im Schenkel und übergab den Neugeborenen später den Nymphen für die Erziehung. Seitdem erscheint Dionysos entweder als bockbeiniger, kleiner Dickbauch oder als lobebekränzeter Jüngling mit seinem nächsten Gefolge - Nymphen, Satyre und Silenen.

Dionysos ist Gott des Weines und der Fruchtbarkeit. Dionysos wurde von den Frauen verehrt. Sein Kult und Verehrung zeichnen sich durch orgiastische Taumel und rauschhafte, dionysische Hemmungslosigkeit aus.


Weiterführende Literatur:

1. Abenstein, Reiner: Griechische Mythologie. Stuttgart 2005.

2. Otto, Walter F.: Dionysos. Mythos und Kultus. Darnstadt 1960.


 

3. Bacchus in Gestalt des nackten Jünglings bei Michelangelo und Tizian

Ab dem 15. Jahrhundert kommt es zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den antiken Themen und auch mit der antiken Mythologie ihren Anfang. Eine der wichtigsten literarischen Quellen für die Künstler der Zeit bildete Ovids Metamorphosen. In den Geschichten Ovids sind auch die Mythen über Dionysos und seine Beschreibung zu finden (Bacchus und Ariadne). In der bildlichen Kunst sind zwei Traditionen der Darstellung von Dionysos vertreten. In einer wird Bacchus als ein kleiner, betrunkener Satyr mit dem menschlichen Oberkörper und einem Bockunterkörper aufgezeichnet. Die andere Vorstellung über den Weingott stammt aus der Antike und stellt ihn als einen nackten Jüngling dar. Diese wird im Laufe der Kunstgeschichte prominent von Michelangelo (Bacchus, 1496), Tizian (Bacchus und Ariadne, 1522-23) und Caravaggio (Bacchus, 1595) abgebildet.

Michelangelo stellt Bacchus mit einem Weinlaubkranz und einer Schale mit Wein dar. Er blickt schräg auf den Becher und will ihn zum Munde führen. Sein Körper wirkt mollig. Man sieht auch den kleinen Satyr, der zu der traditionellen Begleitung von Dionysos gehört. Das Gleichgewicht, das für die antiken Skulpturen charakteristisch war, ist bei Michelangelos Werk gestört. Die taumelnde Haltung des Weingottes trägt zu der Charakterisierung des Gottes bei, der sowohl die Heiterkeit als auch die Zerstörung bringt.

Tizians Bacchus und Ariadne schildert die zweite Begegnung beider, als Bacchus Ariadne auf der Insel Naxos entdeckt und sich in sie verliebt. Hinter Bacchus sehen wir das Gefolge – bockbeinige Satyre, Cymbeln schlagende Mänaden. Das Motiv der zweiten Begegnung ist in der bildenden Kunst sehr selten, meist wird die erste Begegnung dargestellt. Tizians Darstellung kündet von der Macht und dem Triumph des Bacchus, der die Welt verwandelt und die Menschen ins dionysische Tanzen reißt.


1

Michelangelo Bacchus (1496-97)

2

Tizian Bacchus und Ariadne (1520-23)

 


Weiterführende Literatur:

1.—Dittmann, Lorenz: Die Wiederkehr antiker Götter im Bilde, Padeborn 2001.

2. Larsson, Lars Olof: Antike Mythen in der Kunst. Stuttgart 2009.

3. Leopold, Elisabeth: Die Poesie des Körpers. Der nackte Mann in der Kunstgeschichte. In: Nackte Männer. Hg. v. Tobias Natter. München 2012, S. 17-27.

4. Weber, Gregor J. M.: Der Triumph des Bacchus. Meisterwerke Ferrareser Malerei in Dresden. Turin, Alemandi 2003.


 

 

4. Darstellung der männlichen Nacktheit bei den deutschen Künstlern der Reformationszeit.

Nach 1500 beschäftigt sich die deutsche Kunst sowohl mit den antiken Themen als auch mit dem nackten Körper. Diese Entwicklung war vor allem durch die zeitgenössische italienische Kunst beeinflusst. So findet man die Aufzeichnung der nackten männlichen Körperlichkeit bei Lucas Cranach (Adam und Eva, 1512-1513, Würzburg), Albrecht Dürer (Selbstporträt als Akt, 1500-1512, Nürnberg), Matthäus Schwarz (Trachtenbuch, 1520-1560, Augsburg).

Im Fokus von Dürer und Schwarz steht das Selbst porträtieren und die dadurch verbundene Erforschung  sowie Interesse für den eigenen Körper. Cranachs Zeichnungen zeigen im Gegensatz zu der Malerei von Dürer, dessen Hauptziel Idealmaß war, Erotik.


trachtenbuch

Matthäus Schwarz Trachtenbuch (1520-1560)

6

Albrecht Dürer Selbstporträt als Akt (1500-1512)

0

Lucas Cranach Adam und Eva (1512-1513)


Weiterführende Literatur:

1. —Hammer-Tugendhaft, Daniela: Zur Semantik männlicher Nacktheit und Sexualität. Ein Rückblick. In: Nackte Männer. Hg. v. Tobias Natter. München 2012. S. 37-47.

2. Knofel, Ulrike: Entdeckung der Nacktheit. In: Spiegel Geschichte 5 (2009).

3. Leo, Joseph: The Moment of Self-Portraiture in German Renaissance Art. University of Chicago Press 1997.