2. Interpretation und Männlichkeit des Objekts

Website: Virtueller Campus: eLearning-System der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Kurs: Rivalisierende Männlichkeiten
Buch: 2. Interpretation und Männlichkeit des Objekts
Gedruckt von: Gast
Datum: Donnerstag, 2. Mai 2024, 00:51

Beschreibung

Welche Formen von Männlichkeit treffen hier aufeinander?

1. Typen von Männlichkeit

  

Der Gewappnete

Der starke Mann tritt uns in der ebenso starken Rüstung entgegen. Die Rüstungen sind îserîn und haben oft die Farbe des fiwer, sie sind hert. In diesen Attributen des Äußeren spiegeln sich die Eigenschaften des Inneren wieder. Diese Kongruenz ist typisch für die mittelalterliche Sicht auf den Menschen und damit wird die Stärke der Rüstung gleichwertig mit der Stärke des Mannes, der in ihr steckt. Sie ist ebenso Kennzeichen wie auch Erkennungszeichen eines Ritters; ein Mann in Rüstung muss Ritter sein – ein Ritter muss Rüstung tragen. Man könnte also von der Rüstung als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sprechen. Die mit der Rüstung zum Ausdruck kommende Souveränität spiegelt gleichzeitig das hegemoniale Männlichkeitskonzept wieder. 

 


  

Der Heilige

Ein Heiliger muss doch ein anderes Konzept von Männlichkeit verkörpern – sollte man meinen. Doch tatsächlich gibt es eine Ausnahme: die Soldatenheiligen oder miles christi. Sie verkörpern als Krieger und als Heilige eine Mischkategorie, die sowohl ritterliche als auch mönchische Tugenden erfüllt. So schmiegt sich auch das Kreuz auf Brust und Banner ohne Widerspruch an Rüstung und Speer.

 


  

Der Auserwählte

Die statische Pose des Kriegers sorgt für eine Aura der Überlegenheit, aber darüber hinaus hat sie auch etwas Abwehrendes, etwas Bewahrendes. Der Status quo wird gewissermaßen verteidigt und mit ihm die göttliche Ordnung. Die ornamenthafte Inschrift rückt den Krieger in den Mittelpunkt und verstärkt den Moment der Erhabenheit und Sonderstellung.

  


  

Der Ideale

Makellos und ohne Fehler präsentiert sich uns der ideale Mann. Er wird nicht marginalisiert, statt dessen sprechen körperliche Perfektion für ihn. Eine Perfektion, die direkt auf die inneren Attribute angewendet werden kann. Der Ideale betont die repräsentative Perfektion eines souveränen Herrschers.

2. Die Fusion von Männlichkeit

 

 

Was soll dieser Siegelstempelritter nun sein? 

 

Es wurde im Verlauf der Auseinandersetzung deutlich, dass die Besonderheit dieses Exponats darin liegt, sich nicht platt auf ein Männlichkeitskonzept festzulegen. Entgegen dem weit verbreiteten Vorurteil ist das Mittelalter und seine Kunst und Literatur nicht notweniger Weise ein Ort der Eindimensionalität.

  

  

  

   

  

Statt Einbahnstraße erkennen wir eine Fusion mehrerer Konzepte die scheinbar reibungsfrei miteinander interagieren. Die hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen wie wir sie bei Siegfried, Iwein und Erec entdecken konnten, finden sich ebenso wieder, wie die Heiligkeit des Gregorius. Es ist ein facettenreiches Konglomerat, dass sich erst nach mehrmaligem und genauem Hinsehen Stufe um Stufe entwirrt. 

 

  

  

Wir sind damit bei einer überaus modernen Sicht auf Männlichkeit angelangt. 

3. Die Moderne

Wenn der Mann im Anzug und der Footballspieler auf dem Feld den Ritter ersetzen

Uns allen ist klar, dass sich – mit Ausnahme der Mittelaltertuniere – heutzutage niemand mehr mit Rüstung, Helm, Lanze und Pferd zu bewähren versucht. Aber Rüstungen finden sich auch in unserer modernen Zeit. Man denke nur an Sportarten wie American Football oder Motocross. Doch auch auf subtilere Art und Weise wappnen sich moderne Männer für den Kampf in der Arbeitswelt: Sie tragen Anzug. In diesem Sinne macht auch heute noch das Anlegen der richtigen Kleidung aus einem Heranwachsenden einen Abiturienten bei der Zeugnisübergabe. Man legt sich mit seiner Kleidung eine weitere Facette zu. Der Gedanke, dass wir nicht nur eine Sache, nicht nur ein Typ Mensch sind, ist allerdings vielleicht nicht so modern, wie wir es manchmal gerne hätten. Die verschiedene Lagen von Männlichkeit werden am Bamberger Siegelstempel deutlich und eben diese Vielfalt der Identitäten macht es uns häufig so schwer, uns selbst zu finden. Zu Ergründen, wer wir sind und wo die Widersprüche im Sein liegen, beschäftigt uns wohl am meisten. Um Richard David Precht zu zitieren: „Unsere Aufmerksamkeit ist ein Scheinwerfer, der nur weniges beleuchtet. Der dunkle Rest wandert ins Unbewusste“. Auf dass sie den Scheinwerfer heute darauf gerichtet haben, dass das ferne Mittelalter uns doch vielleicht näher ist, als wir mitunter meinen.

  

                           



Quellen: