3. Verbindung des Objekts zur Literatur des Mittelalters

Website: Virtueller Campus: eLearning-System der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Kurs: Rivalisierende Männlichkeiten
Buch: 3. Verbindung des Objekts zur Literatur des Mittelalters
Gedruckt von: Gast
Datum: Dienstag, 7. Mai 2024, 04:19

Beschreibung

Welche literarischen Überschneidungen und Schnittstellen lassen sich zum Bamberger Siegelstempel finden?

1. Das Objekt und die Literatur

Wer ist dieser Mann und woher sollen wir ihn kennen?

Verknüpfungspunkte zwischen Literatur und Kunst lassen uns einen erweiterten Zugang finden. Helmut Beumann spricht davon, dass Fiktionen ihre eigene Zeit reproduzieren. 

 

Dieser Logik folgend, kann die mittelalterliche Literatur einen zusätzlichen Ansatz liefern, die Männlichkeitskonzeptionen des Bamberger Siegelstempels zu überprüfen.

 

Wo findet sich der Ritter?

Wo der Märtyrer?

Wo der Auserwählte?  

 

  

   

  

Zerlegt man den Siegelstempel in seine Einzelteile so finden sich nach und nach bei genauerer Betrachtung mehr und mehr Aspekte. Es zeigt sich eine Figur, ein Mann, ein Ritter, eine Rüstung oder auch der Hl. Georg. Lage um Lage ringt man diesem, anfänglich doch so simpel und gar krude wirkenden Siegel mehrere Identitäten ab. Sie scheinen sich harmonisch zusammenzufügen ohne Konkurrenz oder Konflikt. 



  

   

                                             

   



Literaturhinweise:

  • Beumann, Helmut: Widukind von Korvei. Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts. Weimar 1950, S. VIIf. 

   

                                         

   

 

  

  

  

  

 

1.1. Der Gewappnete

In den klassischen Artusromanen von Hartmann von Aue –  Iwein oder Erec – lernen wir die Helden der Matière de Bretagne kennen. Sie reiten aus, um Âventiuren zu bestehen, sich mit anderen Rittern zu messen und die ein oder andere mythische Gestalt zu bezwingen. Man könnte sagen, ihr ganzes Leben dreht sich darum, der bestmögliche Ritter zu sein. Unter dem Fokus des gewappneten Kämpfers bieten die Romane von Hartmann von Aue also einen idealen Ansatzpunkt, um mehr über diesen besonderen Typ Mann zu erfahren. Doch auch außerhalb des arthurischen Sagenkreises finden wir Männer wie Wigalois, Tristan oder Siegfried, die sich als Ritter präsentieren. So unterschiedlich Wigalois, Tristan, Siegfied, Iwein und Erec auch sein mögen, so erfüllen sie alle die Kategorie des Gewappneten. 

 

Was also erfahren wir über den Gewappneten in der Literatur?   

  

 

 

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Iwein1

In der Textstelle wird deutlich, welchen hohen Stellenwert das Ausreiten und die Bewährung in Âventiuren einnimmt. Als Sinn stiftendes Element gilt es, einen ebenso gewappneten Krieger zu suchen, um sich mit ihm zu messen. Der Kampf gegen einen Rüstung tragenden Ritter macht die Herausforderung erst erstrebenswert. Es wird deutlich, welch hohe Bedeutung der Rüstung des Ritters zukommt. Sie scheint geradezu eine Einheit mit ihm zu bilden. 


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Diesem Gedanken folgend, erkennt man, dass die mittelhochdeutschen Worte für Rüstung harnasch, halsperc, helme oder rinc häufig in direkter Nennung mit dem Ritter als solchem fallen. Sie suggerieren eine Einheit von Ritter und Rüstung, die oftmals swaer, îserin, hert ist oder sich durch besondere Farben (Rot, Gold) auszeichnet. Das Anlegen der Rüstung wird dabei zum Ritual.

  

Einige Beispiele sind:

  

  

   

   

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier:

Wigalois1

 

 

  

 

  

 

 

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier:

Parzival1

 

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Literaturangaben:

  • Wolfram von Eschenbach: Parzival. Band1, 2. Stuttgart: Reclam 2007
  • Hartmann von Aue: Iwein. Stuttgart: Reclam 2012.
  • Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Berlin: De-Gruyter 2005.

1.2. Der Heilige

Passend für einen literarischen Vergleich zum Objekt ist Hartmann von Aues Gregorius. Für eine kurze Inhaltszusammenfassung klicken Sie bitte hier

Die Geschichte von Gregorius, des ausgesetzten und von Pflegeeltern aufgezogenen jungen Klosterschülers, der sich nicht sehnlicher wünscht, als Ritter zu werden, und als Papst endet, hat einige Parallelen zur Legende des Hl. Georgs. Nicht nur sind sie namensverwandt, sondern sie sind beide Heilige, die in ihrer Vergangenheit Ritter waren und damit sowohl Ritterlichkeit als auch Heiligkeit mit ihren unterschiedlichen Männlichkeitskonzeptionen vereinen. 

  

In der folgenden Textstelle entdeckt Gregorius seine natürliche Begabung zum Rittersein. Mit Rüstung und Pferd auszureiten, bereitet ihm mehr Freude als alles jemals zuvor. Dies ist insofern bedeutsam, da die Kunst, Ritter zu sein, normalerweise erst mühsam erlernt werden muss. Das Naturtalent des jungen Gregorius macht ihn zu etwas Besonderem.

   

      

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Gregorius1

Auch dem Abt erscheint Gregorius nicht für das Leben eines Mönchs geeignt. Gregorius unbekannte adelige Herkunft ist Grund für seine Eignung zu Rittertum, doch von seiner Abstammung weiß niemand. Alle halten Gregorius für den leiblichen Sohn seiner Plegeeltern. Durch seine natürliche Begabung zum Rittertum ist sowohl eine Anspielung auf seine tatsächlichen, adeligen Eltern, als auch ein Hinweis darauf, dass er offensichtlich auserwählt dazu ist, Ritter zu sein. 

      

   

    

 

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Gregorius2

 

Darüber hinaus will er sich Ansehen und Ehre als Ritter erwereben. Es geht also nicht nur um die Erfüllung seiner Bestimmung, sondern auch um den Erwerb von gesellschaftlichem Wohlwollen.  

    

    

    

    

     

     

   

  

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Gregorius3

Nachdem Gregorius erfährt, dass er unwissentlich den eigenen Vater erschlagen und die Mutter geheiratet hat, zieht er sich in die Einsamkeit des Waldes zurück. Dort büßt er angekettet, auf einem Stein liegend, für seine Fehltaten. Sein körperlicher Zustand ist erbärmlich. Er ist nackt und ausgeliefert und nicht mehr zu vergleichen mit einem imposanten Ritter. 

  

Auch die päpstliche Delegation stellt sich den Märtyrer ganz und gar anders vor: schön und prachtvoll soll er sein. 

  

    

  

 

   

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Gregorius4

Statt dessen finden sie eine verwahrloste, zottige Gestalt vor, die nur entfernt an einen Mann erinnert. Der starke körperliche Zerfall spiegelt auch den gesellschaftlichen Abstieg wieder. Die frühere Rüstung fehlt und damit auch die hegemoniale Männlichkeit, die den Ritter Gregorius zuvor auszeichnete.

     

   

   

   

  

   


   

   Weitere Links im Word Wide Web

 



Literaturangaben: 

  • Hartmann von Aue: Gregorius. Stuttgart: Reclam 2003.

1.3. Der Auserwählte

Die Überlegenheit eines Ritters kann dadurch deutlich gemacht werden, dass er trotz widriger Umstände seine wahre Berufung zum Ritterdasein erkennt. Indikatoren für eine solche Mission sind regelrecht übernatürlich gute Ritterfähigkeiten, wenngleich diese normalerweise von klein auf mühsam trainiert werden müssen. Dies ist der Fall bei Gregorius. Wenn ein Ritter sich also den Wagnissen der Âventiuren stellt, obwohl er nicht dazu in hinreichender Weise trainiert wurde, betont der Sieg die exzeptionelle Überlegenheit des Ritters. Er ist damit im Sinne der Kongruenz von Äußerem und Innerem auch der Tugendhafteste. 

   

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Tristan1

Hier wird deutlich, dass Tristan bereit ist, sich der Herausforderung der Âventiure zu stellen, obwohl er eben nicht der von Geburt an anerzogener und angelernter Ritter ist. Es macht seinen späteren Triumph noch größer. Mehr Informationen finden sich hier.

  

  

  

  

  

    

  


Literaturangaben:

  • Tomasek, Tomas : Gottfried von Straßburg. Stuttgart: Reclam 2007.
  • Gottfried von Straßburg: Tristan, Bd. I.: Text, 5. Aufl., Berlin u.a.: De Gruyter 2004.
  • Bumke, Joachim: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: dtv 1999.

1.4. Der Ideale

In der mittelalterlichen Tradition spiegelt das Äußere in der Regel das Innere wieder. Der Ritter muss eine Reihe von Tugenden erfüllen, darunter staeteminnehoher muotmâze und triuwe, aber auch arbeitmanheit, und milte. Detaillierte Informationen zu den Tugenden finden Sie hier

Ein Held hat deshalb edel zu sein und schön auszusehen, während ihm hässliche Zwerge oder abnorme Riesen gegenüberstehen. Die Konkurrenz zwischen Innerem und Äußerem spielt eine große Rolle. Es finden sich deshalb häufig Textstellen, die die Tugendhaftigkeit des Ritters mit seinem Aussehen oder seiner Kleidung in Bezug zueinander setzen. Die Literatur bietet also den perfekten Zugang, um zu erfahren, welche Werte der Bamberger Siegelstempel verkörpert.

   

   

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Erec1

Im Erec wird deutlich, dass ein Ritter, der standesgemäß Rüstung trägt zu einem guoten knecht wird. Die Rüstung wird damit zum äußeren Anzeichen der inneren Überlegenheit. 

  

 
 

 

 

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier:  Nibelungen1

  

Die Rüstung des Ritters hilft ihm nicht nur in der kriegerischen Auseinandersetzung, sondern sie repräsentiert gleichzeitig Herkunft und adelige Abstammung. Dieser Aspekt der Rüstung wird im Nibelungenlied deutlich, wenn Siegfried von seinen Eltern standesgemäß mit edler Kleidung und der besten Rüstung ausgestattet wird, um von den Wormsern auch als eben dieser adelige Herrschersohn wahrgenommen zu werden. Die Rüstung Siegfrieds soll sowohl ihn selbst als auch seine Heimat Xanten in einem guten Licht zeigen. Die Rüstung ist also auch repräsentatives Zeichen hegemonialer Männlichkeit.

 

  

    

  

Die neuhochdeutsche Übersetzung der Textstelle finden sie hier: Nibelungen2

  

 In der zweiten Textstelle geht es nun nicht länger um die repräsentative Funktion der Rüstung, sondern um ihre Bedeutung im Kampf. Im Sachsenkrieg stellt sich Siegfried einem blutigen Gefecht aus dem er als eindeutiger Sieger hervorgeht. Seine kriegerische Überlegenheit kann noch nicht einmal von der Rüstung seines Gegenübers gebremst werden. Auffällig ist, dass seine Überlegenheit genau an dieser Stelle nicht nur körperlich, sondern durch den letzten Vers auch im Sinne des ritterlichen Ideals herausgestellt wird. Seinen Feinden in blutigem Gemetzel die Köpfe einzuschlagen erscheint überaus positiv konnotiert.

 

 

 



Literaturangaben:

  • Das 'Nibelungenlied'. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach der Handschrift B hrsg. von Ursula Schulze. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart: Reclam, 2010. 
  • Hartmann von Aue: Erec. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Volker Mertens. Stuttgart:
    Reclam, 2010.