3. Verbindung des Objekts zur Literatur im Mittelalter
Website: | Virtueller Campus: eLearning-System der Otto-Friedrich-Universität Bamberg |
Kurs: | Rivalisierende Männlichkeiten |
Buch: | 3. Verbindung des Objekts zur Literatur im Mittelalter |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Sonntag, 16. Februar 2025, 12:38 |
Beschreibung
Im dritten Teil soll nun gezeigt werden, dass Spottfiguren in ganz ähnlicher Gestaltung schon in der mittelalterlichen Literatur auftraten. In Neidharts Liedern werden die dörper verspottet und im Erec, Ortnit und Tristan kriegt der Zwerg den Spott ab.
1. dörper (Neidhart)
Die dörper oder vilains sind der Gegentypus zur männlichen Idealbild des Ritters, welcher hövsch d.h. höflich und hübsch ist.
Die Bauerntölpel werden in der Literatur als "ungehobelt","rau" und "ungebildet" dargestellt (Ehrismann, 50-52).
Sie sind gekennzeichnet "durch unpassende oder geckenhafte Aufmachung, durch grobes Benehmen bei Tanz, Spiel und
v.a. den Frauen gegenüber und durch exzessive Streitsucht" (Schweikle, 124) und können daher zur marginalisierten
Männlichkeit gezählt werden.
Dies illustriert Neidhart in seinen Liedern. Neidhart gilt als der erste, der das Leben der dörper im Kontrast zum höfischen Leben
zum Thema macht, und wird daher in der Forschung allgemein als Schaffer einer neuen Liedgattung, der 'dörperlichen Dichtung'
bzw. des 'Dörperlieds' angesehen. Besonders in den Winterliedern (WL), in denen es um den Tanz in Dorfstuben geht, charaktarisiert
Neidhart die Tölpel als schlecht gekleidet, der Minne unwürdig, frech (vgl. WL7,6) und gewalttätig (vgl. WL 8,4), so dass sie zu dem Grund
werden, warum er kein Glück mehr in der Liebe hat und sich schließlich von der Minne abwendet.
WINTERLIED 3, Vers 5 Sâht ir ie gebûren sô gemeiten, |
Habt ihr je einen Bauern so keck gesehen, |
Bild: http://www.mediaevum.de/autoren/neidhart.htm
WINTERLIED 6, Vers 6 |
Möchten sich doch die Bauern alle gegenseitig |
Die dörper sind in den Liedern die Gegenspieler des lyrischen Ichs:
WINTERLIED 9, Vers 7 In der saelden pfat |
Den Weg des Glücks |
An den Liedern Neidharts kann man sehr gut erkennen, dass die 'dörper' sich nicht an den vorherrschenden
Verhaltenskodex halten und daher als rüpelhafte Männer gelten, die keine Minne verdient haben und einem
Ritter weit unterlegen sind.
Dennoch stellen die 'dörper' gleichzeitig auch eine Bedrohung bzw. Konkurrenz für die Ritter - oder hier das lyrische Ich - dar.
Quelle:
Schweikle, Günther (Hg): Minnesang. 2. Aufl. Stuttgart 1995.
Weiterführende Literatur:
Ehrismann, Otfrid: Ehre und Mut Aventiure und Minne. Höfische Wortgeschichten aus dem Mittelalter. München 1995.
2. Zwerge
Zwerge sind kleinwüchsige Menschen. Im Mittelalter wurden sie aufgrund ihrer körperlichen Anomalität
gerne als natürliche Narren am Hof gehalten und dienten so als Belustigung.
In der Literatur verfügen Zwerge oft über übernatürliche Kräfte (vgl. Lütjens 43/44).
Sie sind den Menschen dabei entweder feindlich gesinnt oder aber sind ihre Helfer.
Auch in der mittelalterlichen Literatur lassen sich diese zwei Rollen finden:
→ 2.1. Der intrigante, verräterische Zwerg Melot im TRISTAN
→ 2.2. Der helfende Zwergenkönig Alberich im ORTNIT
→ 2.3. Ein feindlicher, als auch ein dienender Zwerg namens Guivreiz im EREC
Weiterführende Literatur:
Lütjens, August: Der zwerg in der deutschen heldendichtung des mittelalters. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 54. Bd., 1. H. (1913), S. 42-45.
2.1. TRISTAN- Der "verfluchte" Melot (Gottfried von Strassburg)
Der Zwerg Melot in Tristan ist ein Vertrauter des Königs Marke von Cornwall.
In seinem Auftrag geht er der Vermutung nach, dass Isolde, die Frau des Königs, nicht ihn,
sondern seinen Neffen Tristan liebt und diesen heimlich trifft.
Verse 14261-14267: Dâ kêrte ouch ez spâte unde vruo sîne lüge und sîne lâge zuo. Ez leite sîne vâre an rede und an gebâre ze ieglîchen stunden und haete ouch schiere ervunden die liebe an den gelieben zwein. |
Von früh bis spät richtete er seine Verschlagenheit und Spitzelei darauf. Er stellte seine Fallen mit Reden und Verhalten unausgesetzt und hatte auch bald herausgefunden die Liebe der beiden Verliebten. |
Tristan hat erkannt, dass sein ehemaliger Freund Melot sich nun gegen ihn gekehrt hat.
Er ist sich dieser Gefahr, die von Melot und auch vom Truchseß Marjodo ausgeht trotz ihrer
vorgetäuschten Freundlichkeit gewahr.
Er warnt Isolde und rät ihr auf der Hut zu sein.
Verse: 15073 ff. Als tete Melôt und Marjodô. Si wâren aber Tristande dô dicke und ze manegen zîten valschlîchen an der sîten. Si truogen in gelîche mit valsche und mit âswîche ir dienest und ir heinlîch an. [...] uns gânt zwêne eiterslangen in tûben bilde in süezem site smeichende aller stunde mite. [...] saeligiu vrouwe, schoene Isôt, nu hüetet iuch genôte vor dem slangen Melôte und vor dem hunde Marjodô! |
So taten es Melot und Marjodo. Sie waren Tristan wieder oft und häufig voller Falschheit zur Seite. Sie dienten ihm beide mit Betrug und Tücke ihre Hilfe und ihre Freundschaft an.
Zwei Giftschlangen in Taubengestalt sind mit süßlichem Gehabe und schmeichelnd immerzu um uns herum.
Liebliche Herrin, schöne Isolde, hütet Euch sorgfältig vor der Schlange Melot und dem Hund Marjodo! |
Dennoch werden Tristan und Isolde schlussendlich
ertappt und Tristan flieht aus dem Königreich.
In Tristan erfüllt der Zwerg die Rolle des listigen
Handlangers und Minnefeindes, daz vertâne getwerc-
der verfluchte Zwerg. (Vers 14511).
L'éternel retour ist eine auf der Geschichte von Tristan
und Isolde basierende Verfilmung aus dem Jahre 1943
vom Regisseur Jean Delannoy.
Im Film beneidet der kleinwüchsige Achille seinen Vetter
Partrice um sein Aussehen und seine Beliebtheit. Er spinnt
Intrigen, um die Liebe zwischen Patrice und Nathalie, die
den Onkel Marc heiraten soll, zu verhindern.
In Übereinstimmung mit dem Tristan-Motiv spielt der Zwerg
auch im Film die Rolle des listigen Minnefeindes.
(Bilder aus dem Film: L'êternel retour)
Quelle:
Gottfried von Strassburg: Tristan. Hg. v. Rüdiger Krohn. Stuttgart 1980 (= UTB 4472).
Film:
L'êtermel retour. Warner Home Video. Regisseur: Jean Delannoy. Darsteller: Jean Marais.
Weiterführende Literatur:
Krappe, Alexander Haggerty: Der Zwerg in Tristan. In: Romanische Forschungen, 45. Bd. (1931), pp. 95-99.
2.2. ORTNIT- Zwerg Alberich
Ortnit, der Herrscher von Lampartenland, geht auf eine gefährliche Reise zur Burg Montabur, um die Tochter des
heidnischen Königs Machorel für sich zu gewinnen. Seine Mutter rät ihm, in den Bergen Hilfe zu suchen.
In den Bergen begegenet Ortnit Alberich, den Zwergenkönig, den er anfangs fälschlich für ein Kleinkind hält.
Nach einem Kampf, den Ortnit gewinnt, entpuppt sich Alberich als Ornits Vater.
Vers 166 ff, „und sit über mich ze gröz baz danne risen genöz. vil ungeliche sint. so sit ir doch min kint" |
„und seit mir gegenüber so groß dass ihr eher einem Riesen gleichkommt. wir sind sehr ungleich. so seid Ihr dennoch mein Kind." |
Alberich, der nun Ortnit sein Leben schuldet, gibt ihm eine goldene Rüstung und das Schwert Rose und steht
Ortnit ab diesem Zeitpunkt zu Diensten.
Nur durch Alberichs List und seine Gabe sich unsichtbar machen zu können, gelingt es schließlich
Ortnit, die Königstochter zu entführen.
389 Dö wart der meide jämer harte groezlichen starc. si vlegten ir göter beide und vielen für den sarc. sich krazte unde roufte diu frouwe minneclich: dö huop ir die hende der lützel Alberich. 390 Ir hende minneclichen er in sin hende gevie. diu frouwe sprach zir muoter „wer ist bi mir hie? wer ist der mich da veehet und mich so vaste hat ? er tuot unhovelichen, daz er mich niht enlät" … „nein ich" sprach der kleine, „ich binz von himel ein bot. ... min meister von den himelen hat mich zuo dir gesant, du solt küniginne werden über eliiu Walhen lant." 394 Do sprach diu maget edele „an der rede bist du betrogen." … 395 Do sprach aber der kleine „diu rede frumt dir niht. … 397 Swes du du' mäht erdenken, daz ist im undertän. wil du den Lamparten niht ze einem man, verseist im dinen willen, so dunkest du mich tump: an handen und an füezen machet er dich krump. 398 Er nimt dir din schcene und macht dich dar zuo blint. du solt an in gelouben: nu bist duz doch sin kint. von im hast du die schcene und ouch din varwe lieht." dö sprach diu juncfrouwe „Minen got fürhte ich nieht." |
Da war der Kummer des Mädchens Edelfräulein überaus heftig. Sie flehten ihre beiden Götter an und fielen vor dem Sarg nieder. Die liebreizende Dame kratzte und raufte sich: Da hob ihr der kleine Alberich die Hände (hoch). Er umfing ihre Hände mit den seinen. Die Dame sprach zu ihrer Mutter: „Wer ist hier bei mir? wer ist es, der mich da umfängt und mich so fest hält? Er tut etwas unhöfliches, dass er mich nicht los lässt." … Der Kleine sprach: „Nein, ich bin es, ein Bote des Himmels. … Mein Meister aus dem Himmel hat mich zu dir gesandt, du sollst Königin über das ganze welsche Land werden." Darauf sprach das vornehme Mädchen: „Du täuscht dich." … Dann entgegnete der Kleine: „Deine Worte helfen Dir nicht. … Was auch immer Du Dir denken kannst, das ist ihm Untertan. Willst Du den Lamparten nicht zum Manne, verleugnest Du ihm gegenüber deine Absicht, so scheinst Du mir töricht: an den Händen und Füßen macht er Dich zum Krüppel. Er nimmt dir Deine Anmut und macht Dich dazu blind. Du sollst an ihn glauben: Schließlich bist Du doch sein Kind. Von ihm hast Du die Anmut und auch Deine helle Farbe." Da sprach die junge Dame: „Meinen Gott fürchte ich nicht." |
Der besiegte Zwergkönig wird so vom anfänglichen Gegner zum nützlichen Helfer in der Geschichte.
Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, welche Auswirkung es auf Ortnits Status hat, dass sein Vater ein Zwerg ist.
Quelle:
Ortnit und die Wolfdietriche. Hg. v. Arthur Amelung. Berlin 1871 (= Deutsches Heldenbuch).
Weiterführende Literatur:
Störmer-Caysa, Uta: Ortnits Mutter, die Drachen und der Zwerg. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 128. Bd., H. 3. (1999), S. 282- 308.
2.3. EREC (Hartmann von Aue)
Im Artusroman Erec tauchen zwei Zwerge auf. Beide sind wichtig für den Verlauf der 'âventiure'.
Gleich am Anfang der Erzählung begegnet Erec zusammen mit der Königin und einer Magd einem Ritter, dessen
Namen sie zu erfahren versuchen. Doch der unbekannte Ritter lässt die Magd von seinem Zwerg schlagen.
Auch Erec, der um den Namen des Ritters bittet, wird ausgepeitscht.
Diese Schande muss er über sich ergehen lassen, da er ohne Rüstung und Waffen ist. Um seine Ehre
wiederherzustellen, will er Rache nehmen und reitet mit diesem Ziel aus auf 'aventiure'.
104-108: er gelebete im nie leidern tac dan umbe den geiselslac und enschamte sich nie sô sêre wan daz dise unêre diu künegîn mit ir vrouwen sach. [...] 131-137 vrouwe, ir sult geruochen daz ich in iuwern hulden var. Der himelkeiser bewar, vrouwe, iuwer êre. Ir gesehet mich nimmer mêre ichn gerehe mich an disem man von des getwerge ich mâl gewan. |
Er hatte nie einen schlimmeren Tag erlebt als diesen, wegen des Peitschenschlags, und er hatte sich niemals so heftig geschämt, weil diese Schande die Königin mit ihren Damen gesehen hatte. [..]
Herrin, gestattet, daß ich mit Eurer Genehmigung losreite. Der himmliche König bewahre, Herring, Eure Ehre. Ihr werdet mich niemals wiedersehen, wenn ich mich nicht an diesen Mann räche, von dessen Zwerg ich die Streiemen davontrug. |
Der Zwerg hat hier die Rolle des Provokateurs, der die Ehre von Erec angreift und gegen die
höfischen Sitten verstößt. Er ist Handlungsauslöser und Grund für die 'aventiure'.
Auf seiner 'aventiure' begegnet Erec dann einem anderen Zwerg: Guivreiz, der König von Irland.
Sie kämpfen miteinander und Erec trägt den Sieg davon. Guivreiz schwört Erec seine Treue dafür,
dass er ihn an Leben gelassen hat und möchte fortan sein Lehnsmann sein.
Vers 4547 er sprach: wie gerne ich wesen muoz iu imer staete als iuwer man, mit swiu ih iu gedienen kan. |
Er sagte: Willig werde ich Euch fü immer als Lehnsmann ergeben sein, mit jedem Dienst, den ich Euch leisten kann. |
Auch Guivreiz ist daher entscheidend in der Geschichte, da Erec im Kampf mit ihm wieder an Ehre gewinnen kann.
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Quelle:
Hartmann von Aue: Erec. Hg. v. Volker Mertens. Stuttgart 2008 (=UTB 18530).