2. Interpretation des Objekts

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Kurs: Rivalisierende Männlichkeiten
Buch: 2. Interpretation des Objekts
Gedruckt von: Gast
Datum: Montag, 6. Mai 2024, 17:35

Beschreibung

Im zweiten Teil wird erörtert, wie die Spottfiguren marginalisierte Männlichkeit darstellen. Im Mittelalter gehörten die dörper und die Narren zu der marginalisierten Gruppe von Männern - sie wurden verspottet.

1. Marginalisierte Männlichkeit

Die Spottfiguren als Verspottete

 

Die Spottfiguren stellen zu klein geratene Männer dar - d.h. keine ganzen Männer.

Wir haben es daher mit einer Darstellung von marginalisierter Männlichkeit zu tun.

Man könnte die Spottfiguren auch als Gegentypus bezeichnen:

Sie verkörpern Defizite, die ein Mann nicht haben sollte,

wirken daher lächerlich.

Hadley drückt es so aus:

    „Subordinated masculinity became the repository for all that was not acceptable

to the dominant male elite - lack of beards, sexual immaturity, inability to marry and

have chidren, high-pitched voices [..]“

                                       (S. 8, 9).

 

Der Körper dient performativen Zwecken:

Die Figuren sind nicht nur körperlich unterlegen, sondern auch vom Stand und/oder vom Verhalten her. 

Dies erinnert an die Gegenüberstellung von Ritter und Bauer im Mittelalter.

Diese wurden zum Beispiel in Neidharts Liedern wegen ihrer Minderwertigkeit verspottet.

1.1. dörper

 

Im Mittelalter gab es zudem aber auch Narren am Hof, die die Funktion inne hatten, den Hofstaat

durch ihre Abnormalität zum Lachen zu bringen. Die Abnormalität konnte lächerliches Aussehen sein

wie z.B. Kleinwüchsigkeit oder auch lächerliches Verhalten.

→ 1.2. Narren

 

 

 

 

 

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Weiterführende Literatur:

Dinges, Martin (Hg.): Männer, Macht, Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt a. M./ New York 2005.

Hadley, Dawn M. (Hg.): Masculinity in Medieval Europe. London/ New York 1999.

1.1. dörper

Die sogenannten 'dörper' oder einfach Bauern gehörten zur Unterschicht.

In der Gott gegebenden Gesellschaftsordnung, der 'ordo', standen sie daher unter

dem Ritter. Der Ritter wurde mit den höfischen Idealen verbunden: Er war gesittet

und tugendhaft.

Der Bauerntölpel hingegen galt als triebgesteuert. Er war nicht in der Lage seine

Affekte zu kontrollieren, wie es auch in Neidharts Dörperlyrik dargestellt wird.

In der mittelalterlichen Literatur werden die 'dörper' für ihr ungehobeltes Verhalten

und schlechtes Aussehen verachtet und auf diese Weise marginalisiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Bild: http://habsburg.de.tl/Mittelalter.htm)

 

 


Weiterführende Literatur:

Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. 7. Auflage. München 2008.

1.2. Narren

Der Hofnarr

"Als Narren galten im Mittelalter alle diejenigen, die aufgrund extrem abweichender Verhaltensformen,

aufgrund geistiger Defekte oder aufgrund körperlicher Anomalien und Gebrechen dem herrschenden

Normensystem nicht entsprachen" (Mezger, 58).

 

Der Narr war

  • ein Außenseiter

  • eine Verkörperung des Außergewöhnlichen

  • das Gegenteil des idealen Menschen

  • ein dummer Tor

und daher Ziel von Hohn.

Man kennt ihn heute noch als kecken Kerl mit

Eselsohrenkappe samt Glöckchen, der für Spaß und

Unterhaltung sorgt.

Oft wird er wie links auf dem Kupferstich aus dem 15. Jahrhundert

beim Musizieren dargestellt.

Zwischenzeitlich waren Narren so populär, dass sie in

sogenannten Wunderkammern zusammen mit anderen

merkwürdigen Stücken gesammelt wurden.

"Sie galten als Wunder der Natur" (Bernuth, 49).

Unter ihnen konnten man z.B. Riesen und Zwerge finden.

Diese Art von Narren wurden zu den "natürlichen Narren" (Bernuth, 53)

gezählt, die im Gegensatz zu den "Schalksnarren" (Bernuth, 53)

unfreiwillig aufgrund ihrer angeborenen körperlichen oder psychischen

Defizite komisch wirkten und für Gelächter sorgten.

 

(Mezger, Werner. Hofnarren im Mittelalter.

Universitätsbibliothek Konstanz GmbH,1981. S.68) 

 


Funktion am Hofstaat:

Im Laufe des Mittelalters wandelte sich die Rolle des Hofnarren und er nahm verschiedene Funktionen ein:

  • Entertainer: Allein die Andersartigkeit des Narren sorgte für seine Verspottung und dafür,

    dass die Menschen etwas zu lachen hatten.

  • Lehrer: In der Literatur wurde der Narr zu didaktischen Zwecken benutzt.

    Er sollte den Menschen falsches und sündhaftes Verhalten vor Augen führen

  • "Wissenden und Warner" (Mezger, 45), der vor allem den Herrscher auf

    "irdische Hinfälligkeit und Vergänglichkeit" (Mezger, 29) hinwies.

 

Gleichzeitig stellte der Narr aber auch eine Bedrohung für die Ordnung der Gesellschaft dar, da er sich nicht an

die Normen hielt. Durch seine "soziale Ausnahmestellung" (Mezger, 59) am Hof, konnte der Narr dem Herrscher

gegenüber alles sagen, was er wollte. Er genoss die sogenannte "Narrenfreiheit" (Mezger, 59).

In Anekdoten ist der Narr daher oft derjenige, der das ausspricht, was die "kleinen Leute den Mächtigen ihrer

Zeit gerne einmal selbst gesagt hätten" (Mezger, 70).

Bis heute nimmt der Narr eine Stellung als Beobachter seiner Zeit ein, wie zum Beispiel

Oskar in der Blechtrommel.

 

 


Weiterführende Literatur:

Bernuth, Ruth von: Aus den Wunderkammern in die Irrenanstalten. Natürliche Hofnarren im Mittelalter und früher Neuzeit. In: Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Disability Studies (2003), S. 49-62.

Mezger, Werner: Hofnarren im Mittelalter. Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amtes. Konstanz 1981.

Schillinger, Jean (Hrsg.): Der Narr in der deutschen Literatur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Jahrbuch für Internaionale Germanistik. Bern 2009 (= A, 96).

 


1.3. Blechtrommel

Günter Grass Roman "Die Blechtrommel" erschien 1959 und wurde 1979 von Volker Schlöndorff verfilmt.

Der Roman dreht sich um Oskar Matzerath, der seine Lebensgeschichte niederschreibt, während er in einer Heil- und Pflegeanstalt ist.

Mit drei Jahren hört er auf zu wachsen - er will nicht mehr wachsen - und bleibt daher ein Zwerg. Nicht nur seine Größe unterscheidet ihn von allen anderen, auch seine Fähigkeit Glas durch Schreien zum Brechen zu bringen, ist anormal und lässt ihn hervorstechen.

Er ist daher Außenseiter in einer Welt, die aus "Schein, Lügen und Verbrechen" (Literaturport) zu bestehen scheint.

Nach einem Sturz fängt er an, doch wieder zu wachsen und kann sich nicht mehr hinter der vorherigen kindlichen Fassade verstecken (vgl. Willson,136). Doch er behält seinen Buckel, und damit seine groteske Gestalt.


Für eine Hörprobe einfach auf den Link klicken:

http://www.literaturport.de/index.php?id=43&no_cache=1&clipid=604

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Bild 1: http://www.bz-berlin.de/multimedia/archive/00136/blechtrommel_136045a.jpg

Bild 2: http://static.cinemagia.ro/img/db/movie/01/45/37/die-blechtrommel-606986l.jpg)

 

 

 

 

 


Interessante Links:

http://www.literaturport.de/index.php?id=28&no_cache=1&tid=384

Weiterführende Literatur:

Wilson, A. Leslie: The Grotesque Everyman in Günter Grass's "Die Blechtrommel". In: Monatshefte, Vol. 58, No. 2. (1966), S. 131-138.

 

2. Karneval

Ob in Köln oder Rio - vor der Fastenzeit

wird beim Karneval noch einmal richtig gefeiert.

Besonders die Umzüge in Mainz und Köln sind

in ganz Deutschland bekannt.

Auch im Mittelalter feierte man schon Karneval.

Die normalen Gesetze, Regeln und Normen gelten

zu dieser Zeit nicht. Die Welt ist 'umgestülpt' (vgl. Bachtin, 48).

Im Mittelalter betraf dies vor allem die Ordo:

Für die Zeit des Karnevals galten alle als

gleich - egal ob König oder Narr.

Man wechselte "Kleidung, Lebensstellung und Schicksal" (Bachtin, 52).

Durch diese Lösung von der Hierarchie wurde

es möglich frei zu sprechen, das höher gestellte zu

parodieren. Alles, was einen sonst einschränkte,

wurde ausgelacht:

 die Mächtigen und auch der Tod.

Im Lachen lag und liegt die Freiheit,

der "Sieg über die Furcht"

(Bachtin, 35).

(Bilder: http://www.karneval.de/KarnevalTage.aspx)


Beim Karneval herrscht die Narrenfreiheit. Durch das Lachen wird es möglich, heikle Themen in einer

harmloseren Weise anzusprechen.

Durch die Verkleidung und Schminke beim Karneval versucht man möglichst lächerlich auszusehen, zum Hohn anzuregen.

Die beiden Spottfiguren könnten auch als karnevalisiert beschrieben werden, da ihr groteskes Aussehen Lachen hervorruft.

Ihre Kleidung, ihr Verhalten, ihr Körper...nichts entspricht der Norm und den gängigen Gesetzen. 

Unabhängig davon, welchen Status der Betrachter hat, ihm wird immer die Zunge rausgestreckt.

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Weiterführende Literatur:

Bachtin, Michail M: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt am Main 1990.

3. Bedrohung

 

Die Spottfiguren als Verspotter

 

Die beiden Spottfiguren benehmen sich ungeniert tölpelhaft. Doch damit erzeugen sie nicht nur Lachen bei den

Zuschauern,sondern scheinen auch dieselbigen auszulachen und zu verhöhnen.

                                                  Es handelt sich also bei den Spottfiguren um eine marginalisierte Männlichkeit,

die als minderwertig porträtiert wird, aber dennoch nicht ungefährlich ist. http://www-p.hin.ch/Walter.Boehny/images/gefahr.gif

Wie Dinges in seinen Aufsatz formuliert, stellen marginalisierte Männlichkeiten

immer auch eine Herausforderung für die hegemoniale Männlichkeit dar.

Die Vorherrschaft ist nicht garantiert, sondern muss immer wieder

errungen werden (S. 11,12).

Selbst ein körperlich unterlegener Zwerg kann durch Heimtücke und List

gefährlich werden, wie zum Beispiel in der mittelalterlichen Erzählung Tristan.

 

Bild: http://www-p.hin.ch/Walter.Boehny/images/gefahr.gif