Poetischer Realismus (Buch)

Theodor Fontane: Effi Briest (1894)

Metaphern und Metonymie im Poetischen Realismus

Der Chinesenspuk ist ohne Frage ein bedeutungstragendes Element in Effi Briest. In der Einführungslektion lernten Sie die wichtige Unterscheidung zwischen Metapher und Metonymie kennen: Realistische Erzählverfahren sind immer metonymisch, während Metaphern in der Regel nicht realistisch sind.


Metaphern sind nicht realistisch, und Realismus ist nicht metaphorisch, und zwar per definitionem. Als Realismus definieren wir ja gerade das Fortschreiten des Textes innerhalb kulturell vorgegebener frames, nach Maßgabe der kulturellen Codes, während die Metapher als Übertragungsfigur und Sprungtrope immer einen zumindest kurzzeitigen Framebruch […] impliziert. (Baßler 2014, 219) 

Das bedeutet jedoch nicht, dass es in Texten des Poetischen Realismus keine Metaphern gibt! Der Poetische Realismus ist geprägt durch diese besondere Verflechtung metonymischer und metaphorischer Textverfahren. Moritz Baßler beschreibt sie als 

Kippfigur zwischen Metaphorisierung und Metonymisierung, die das charakteristische Verfahrensmodell des Poetischen Realismus ausmacht […]. Die metaphorische Achse ist im Poetischen Realismus demnach gleichzusetzen mit der Achse der poetischen Verklärung. Sie bleibt das Ziel jedes poetisch-realistischen Textes. (ebd., 225)

In der Literatur des Poetischen Realismus wird häufig, wie auch im Beispiel Effi Briest, die metaphorische Ebene – im Sinne der programmatisch notwendigen Verklärung – höher angesiedelt, so dass sie keinen direkten Einfluss auf das (realistische) Erzählverfahren hat und dieses nicht stört. Ganz im Gegenteil: gerade Effis eigene Unsicherheit, ob dort oben tatsächlich ein Chinese spukt, wirkt sich äußerst realistisch aus. 

Zwar ist der Chinese per se an keiner Stelle des Textes ein Handlungselement, er wirkt stets nur in kontextualen Zusammenhängen bedeutungskonstituierend. Als fantastisches Element versinnbildlicht er jedoch die gesellschaftliche Unordnung; zwischen Effi und dem Chinesen gibt es mehrere Parallelen, die sie als gesellschaftliche Außenseiterin kennzeichnen. Auch diese Bedeutungsmöglichkeiten liegen auf einer höheren, metaphorischen Ebene und stören so das realistische Erzählverfahren nicht.